Hotel Mama vorübergehend geschlossen
Seiten abgewinnen. Die ersten Minuten waren allerdings mehr als nur peinlich gewesen. Florians euphorischem Ausruf, er habe sich im Hinblick auf das Gespenst doch geirrt, war ein entsetztes Schweigen gefolgt, denn auch Frau Antonie hatte es regelrecht die Sprache verschlagen. Mit versteinertem Gesicht hatte sie auf dem Bett gesessen – auch noch auf seinem! – während Tinchen in einer Art Taubstummensprache mit ihm zu kommunizieren versucht hatte, was natürlich total danebengegangen war. »Hampel nicht so herum, Ernestine!« hatte ihre Mutter getadelt, und Florian hatte noch ein bißchen dümmer geguckt als vorher. Dann endlich hatte Tinchen das ungemütliche Schweigen gebrochen.
»Du mußt doch verstehen, Mutsch, daß wir uns ein bißchen überfahren vorkommen! Warum habt ihr nicht vorher gesagt, daß ihr uns nachkommen wollt, oder weshalb habt ihr nicht einen späteren Zeitpunkt ausgesucht, wenn wir schon wieder zu Hause gewesen wären? Wir hätten euch Tips geben können, hätten vielleicht ein noch schöneres Hotel gefunden, hätten euch Fotos zeigen und sagen können, welche Ausflüge sich lohnen, und auf welche man besser verzichtet …« Sie setzte sich neben ihre Mutter aufs Bett und nahm sie in den Arm. »Weißt du, Mutti, Urlaub bedeutet nicht nur Tapetenwechsel, sondern auch mal raus aus dem ganzen Familienclan, keine Rücksicht auf wen auch immer nehmen müssen, allein sein dürfen – und dann stehst du plötzlich vor der Tür und erwartest, daß wir hellauf begeistert sind. Du hättest uns ja wenigstens vorwarnen können«, schloß sie mit einem müden Lächeln.
Lange sagte Frau Antonie gar nichts, dann gab sie zu, daß die Idee, Tinchen und Florian einfach hinterherzufliegen, wohl doch nicht so gut gewesen sei. »Wir haben keineswegs die Absicht, uns aufzudrängen, werden auch um einen separaten Tisch im Speisesaal bitten und bestimmt nicht eure Pläne beeinflussen wollen, wir hatten nur … also, eigentlich bin ich es ja gewesen …«, jetzt geriet sie doch tatsächlich ins Stottern, »ihr seid doch schon häufiger im Ausland gewesen, ich meine, in einem ganz anderen Erdteil, und damals in Kenia wäre ich ohne euch doch kaum aus dem Hotel herausgekommen … und da habe ich gedacht, wenn ihr uns so ein bißchen helfen würdet … Wir müssen ja nicht immer zusammenbleiben, aber natürlich wollen wir soviel wie möglich sehen …« Sie brach ab und begann in ihrer schicken, offenbar nagelneuen Leinentasche zu kramen. »Hättest du wohl ein Taschentuch für mich, Ernestine?«
Während Tinchen das Gewünschte aus dem Bad holte, gab sich Florian, der bis jetzt eisern geschwiegen hatte, endlich einen Ruck. Er hatte vorgehabt, sich für seinen verbalen Ausrutscher zu entschuldigen und in Gedanken schon die passenden Worte zusammengesucht, doch dann platzte er mit der Frage heraus, die ihm viel mehr am Herzen lag. »Sag mal, Toni, besitzt Frau Klaasen-Knittelbeek eine blaugoldene Kittelschürze?«
Erst traf ihn ein zweifelnder Blick, dann jedoch zog ein amüsiertes Lächeln über Frau Antonies Gesicht. »Das ist keine Kittelschürze, Florian, sondern ein Ensemble!« Das letzte Wort sprach sie übertrieben akzentuiert aus. »Dazu gehört nämlich noch der im Dessin identische Badeanzug.« Sie lächelte immer noch. »Und wenn ich euch jetzt verrate, daß sie die gleiche Kombination noch ein zweites Mal in anderen Farben gekauft hat, dann werdet ihr mir das nicht glauben. Ich hätte es ja auch nicht geglaubt, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Apfelgrün und Orange, und das mit fünfundsiebzigdreiviertel!«
»Taillenweite?« fragte Florian, der sich damit nicht so genau auskannte.
»Nein, Jahre!«
Froh über den Themawechsel, der Frau Antonies zu erwartenden Tränenstrom gerade noch verhindert hatte, wollte Tinchen Einzelheiten wissen. »Sie hat doch mal gesagt, ab einem gewissen Alter sollte man, falls überhaupt, nur noch schwarze oder Badeanzüge in gedeckten Farben tragen. Ab wann beginnt denn bei ihr das gewisse Alter?«
»Da hat sie sich nicht genau festgelegt«, kicherte Frau Antonie, »aber seitdem sie die kleine Boutique in der Altstadt entdeckt hat, zählt sie anscheinend rückwärts. Noch drei Besuche dort, und sie kommt mit einem Minirock nach Hause.«
»Bist du noch nie mitgegangen?«
»Wo denkst du hin, Kind? Erstens ist der Laden für mich viel zu teuer, zweitens entspricht das Angebot nicht meinen Vorstellungen, oder soll ich mir jetzt auch einen sogenannten
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