Hotel Mama vorübergehend geschlossen
schon gar nicht mehr hin. »Nun warte doch erst mal ab, der Brief ist ja noch nicht zu Ende. Wo war ich denn stehengeblieben? Ach ja, hier …
willig
natürlich. Ich bin also hin, habe den Schlüssel auch sofort gefunden und als erstes die Heizung hochgedreht, es war nämlich lausig kalt bei euch. Übrigens: Sehr lange reicht das Öl nicht mehr!«
»Ich dachte, Tine, dieser Nowotny hat Heilig Abend den Tank aufgefüllt?« Klang das nicht ziemlich vorwurfsvoll?
»Naujoks heißt der, und bestellt habe ich bloß fünfhundert Liter wegen der armen verwitweten Rentnerin, das mußt du doch noch wissen!« verteidigte sich Tinchen. »Hast du denn später nicht noch mal nachbestellt?«
»Nein, wann denn? Du wolltest doch …«
»Wieso ich? Bisher hast immer
du …«
Sie beruhigten sich damit, daß Björn lediglich festgestellt hatte, das Öl würde ›nicht mehr lange‹ reichen, was doch wohl die nächsten sechs bis acht Tage noch einschloß. Und bis dahin waren sie ja längst wieder zu Hause. »Willst du nun den restlichen Brief noch hören oder nicht?«
»Doch, natürlich!« beteuerte sie sofort, »vielleicht steht ja drin, wovon er sich ernährt. Viel Geld hat er doch bestimmt nicht, und die Kühltruhe habe ich noch ziemlich leer gemacht. Ich muß ihn anrufen und ihm sagen, daß ich im Knopfkästchen zweihundert Mark versteckt habe, die kann er sich ja erst mal nehmen.«
Er zuckte schmerzlich zusammen. »Andere Hausfrauen bunkern ihre stillen Reserven immer im Küchenschrank in einer alten Zuckerdose, wieso nicht auch du?«
»Ganz einfach, weil ich keine habe. Außerdem suchen Einbrecher da immer zuerst, das weiß doch jeder! Nun lies weiter!«
»Aufregend war der erste Abend! Ich saß gerade mit einem
Tel
ler voller Cornflakes vor dem TV (Wußtest du, Tante Tina, daß
das
Haltbarkeitsdatum auf der Packung seit August vorigen Jahres ab
gelaufen war?), als die Tür aufging und plötzlich so ein Hüne von Mann mit 'ner Knarre vor mir stand. Sowas passiert ja in jedem dritten Fernsehkrimi, und ich hatte mir schon öfter ausgemalt, was ich in solch einer Situation tun würde, Teller ins Gesicht schmeißen, Tisch umkippen oder etwas in der Art, aber dann geschieht das wirklich, und was habe ich gemacht? Beide Arme hochgerissen, einen noch mit dem Löffel in der Hand. – Muß ein umwerfendes Bild gewesen sein! – Der Einbrecher oder was auch immer er hätte sein können war wohl doch etwas erstaunt, als er mich nicht beim Durchstöbern der Schuhkästen, sondern beim Futtern sah, jedenfalls steckte er den Revolver weg (es war übrigens so einer für Tränengas, also relativ ungefährlich) und wollte wissen, wer ich sei und was ich hier wolle. Ich konnte ihn schnell von meiner Harmlosigkeit überzeugen – er mich aber auch –, wir haben dann sogar noch einen Whisky auf den gemeinsamen Schreck getrunken (Onkel Florian, du mußt dir mal irischen zulegen, der schmeckt viel besser!), und als er gerade gehen wollte, kam schon der nächste Nachbar, der von der anderen Seite, und neben ihm diese alte Wachtel, die Weihnachten ihre sehr al dente gebratenen Putenkeulen angeschleppt hatte. Ich glaube, die haben sich mehr über Herrn Hildebrandt gewundert als über mich. Wir haben sie ganz schnell wieder nach Hause geschickt – ohne Whisky!
Einquartiert habe ich mich in dem Zimmer, das ihr offenbar für mich vorgesehen hattet, in den anderen habe ich Staub gewischt. So allein ist es nämlich ziemlich langweilig, zumal der Inhalt eurer Bücherschränke entschieden überaltert ist. Wer liest denn heute noch Böll und Lenz? Keine einzige Science-fiction-Story, kein Steven King, kein Robert Ludlum oder Clive Cussler – was lest ihr eigentlich außer der Tageszeitung und den Werbeblättchen im Briefkasten?
Ich würde euch ja gerne vom Flieger abholen, aber Herr Hildebrandt wußte zwar, daß ihr am 3. Februar kommt, nur nicht, um
welche Zeit. Jedenfalls werde ich euch eine Kanne Kaffee
warmhalten und dunkles Brot kaufen. Ich freue mich auf euch. – Euer Björn.
PS. Keine Angst, euer Silber habe ich noch nicht ins
Pfandhaus getragen, Geld ist so ungefähr das einzige, was ich von meinen Eltern in ausreichender Menge bekomme.
PPS. Hoffentlich nimmst du es mir nicht übel, Onkel Florian, daß ich deinen PC benutzt habe. Du tust es anscheinend nicht,
denn ich habe den Kasten erst mal auf Vordermann gebracht. Ist übrigens ein tolles Gerät, du solltest dir nur noch einen Farbdrucker zulegen!
PPPS. Danke übrigens für die Karte.
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