Hotel Mama vorübergehend geschlossen
suchte, räsonierte sie weiter. »Meine Schwiegertochter hat offenbar eine Vorstufe von Alzheimer bei mir festgestellt, denn ich würde neuerdings alles vergessen, behauptet sie, und dabei habe ich schon mehr vergessen, als sie jemals gewußt hat, und überhaupt … Flori, hast du die dunkle Flasche mit dem überklebten Etikett gesehen, auf dem
Rattengift
steht?«
»Meinst du die grüne? Die habe ich neulich Gerlach mitgegeben, weil der angeblich eine im Keller hat.«
»Was ›eine‹?«
»Eine Ratte natürlich!«
»Na, wenn's gewirkt hat, dürfte das Vieh wenigstens einen schönen Tod gehabt haben. Dann ist es nämlich an Alkoholvergiftung gestorben!« Wütend knallte sie die Schranktür zu. »Das ist mein Küchenkognak gewesen!«
»Glaubst du, das haben wir nicht gemerkt?« Florian schaltete die Maschine aus und goß den Kaffee in zwei Becher. »Fabian hatte die Flasche zufällig entdeckt und sich daran erinnert, als wir an unserem Saufabend plötzlich auf dem Trocknen saßen.«
»Aber das ist doch schon zwei Monate her?«
»Eben! Da kannst du mal sehen, wie lange du dich nicht mehr in der edlen Kunst der feinen Küche versucht hast. Es lebe die Mikrowelle!«
»Im Hauptwaschgang bei 90 Grad, da schmeckt der Braten delikat!« tönte es von der Tür. »Gibt's noch was zu essen?«
»Um halb vier nachmittags? Ist das hier 'ne Bahnhofskneipe?«
»Natürlich nicht, Tante Tina, entschuldige bitte, aber ich hatte keine Ahnung, daß wir mittwochs am Nachmittag zwei Stunden Sport haben. Kein Mensch hatte mir was gesagt, und den Stundenplan hat mir der Hembach erst vorhin in die Hand gedrückt. Und weil ich nicht mal Turnschuhe dabei hatte, durfte ich den Geräteraum aufräumen.« Björn ließ seine Mappe fallen und sah Florian herausfordernd an. »Frage an die Wissenschaft: Gibt es intelligentes Leben im Lehrerzimmer?«
Da sich Tinchen an diesem Vormittag mehr um das psychische Wohlergehen ihres Enkels als um das physische ihrer beiden Männer gekümmert hatte und ihr eigener Magen noch immer zwischen jamaikanischer und europäischer Zeit schwankte (erst heute nacht hatte sie um drei Uhr wieder tierischen Hunger auf gegrillten Fisch bekommen), hatte sie gar nicht ans Essen gedacht. Als nämlich Julia und Tobias endgültig ausgezogen waren, also vor ungefähr acht Jahren, hatte Tinchen beschlossen, das bis dahin gültige Ritual Wenn-die-Kinder-aus-der-Schule-kommen-wird-gegessen abzuschaffen und sich nicht mehr zum Sklaven von Küchenuhr und Kochherd zu machen. Wenn sie Lust hatte, was gar nicht mal so selten vorkam, kochte und brutzelte sie stundenlang, servierte ihrem Florian dienstags ein Drei-Gänge-Menü und dafür sonntags gar nichts, weil sie an diesem Tag sowieso spät frühstückten. Sie fror alles, was übrig blieb, portionsweise ein, taute es bei Bedarf wieder auf, und falls gar nichts mehr da war, gab's immer noch die Kühltheke im Supermarkt oder das China-Restaurant drei Straßen weiter. Noch nie hatte sich Florian über die etwas unorthodoxe Haushaltsführung seiner Frau beschwert, und das würde er auch weiterhin nicht tun, solange Eier im Haus waren. Während seiner Junggesellenzeit waren sie neben Tütensuppen der Hauptbestandteil seiner Ernährung gewesen, hatten ihn fit und schlank gehalten, und noch heute kriegte er Spiegeleier besser hin als Tinchen. Und für akute Notfälle war da noch die Verlagskantine, in der es bis dreiundzwanzig Uhr Snacks, Pizza und Frau Webers unvergleichliche Erbsensuppe gab.
Auch so etwas, woran ich vorher nicht gedacht habe, fiel Tinchen ein, jetzt muß ich ja wieder jeden Tag richtig kochen! Teenagermägen wollen bekanntlich nicht nur zu den normalen Essenzeiten gefüttert werden, sondern häufiger noch zwischendurch, wobei es weniger auf das Was ankommt als auf das
Wieviel.
Sie öffnete den Tiefkühlschrank und begann, die einzelnen Schubfächer herauszuziehen. Im ersten lagen zwei Tüten Mais (Wer hatte die denn gekauft?) und eine Packung Blätterteig, haltbar bis Juli 97. Das zweite Schubfach war ganz leer, im dritten kullerten Laugenbrötchen herum und zwei übriggebliebene Grillsteaks vom letzten Sommer. Erst im untersten Fach wurde sie fündig. »Was willst du haben, Björn, Schlemmerfilet à la Bordelaise oder Chinapfanne mit Scampi?«
»Am liebsten Kartoffelpuffer!« sagte der, »aber sowas ißt man ja heute nicht mehr, oder?«
»Ob ›man‹ sie noch ißt, weiß ich nicht, bei uns hat es sie seit Jahren nicht mehr gegeben!« kam es wehmütig aus der
Weitere Kostenlose Bücher