Hotel Mama vorübergehend geschlossen
Millionär zu werden, und sein gesamtes Taschengeld beim Zahlenlotto verbraten. Ob sein Interesse für den Journalismus nicht auch wieder ein Strohfeuer ist, kann ich natürlich nicht sagen, doch ich könnte mir denken, daß er brennend gern einmal einen Blick hinter die Kulissen werfen würde. Meinen Sie, Ihr Mann könnte ihm das gelegentlich ermöglichen?«
Selbstverständlich könne er das, hatte sie gesagt, und Thorsten spontan eingeladen. Nach einer Portion Krabbensalat als Grundlage, zwei Gläsern Weißherbst und zum Teil recht amüsanter Unterhaltung mit den übrigen Elternteilen – merkwürdigerweise war nur ein einziges komplettes Paar erschienen – war ihr diese Einladung ganz natürlich erschienen, doch jetzt zu Hause war sie sich nicht mehr sicher. Was ist, wenn Björn und Thorsten sich nicht ausstehen können oder zumindest letzterer eine Mordswut hat wegen der vergeigten Hausaufgaben? Und was, wenn Florian gerade am Freitag einen Auswärtstermin hat? Eine Pressekonferenz von Herrn Clement im Düsseldorfer Landtag zum Beispiel würde wohl kaum einen Fünfzehnjährigen vom Hocker reißen. Andererseits pflegen auch Ministerpräsidenten so manches Wochenende schon am Freitagmittag zu beginnen, also würde Florian wohl doch in der Redaktion sein und hoffentlich auch Zeit haben, einen künftigen Kollegen ein bißchen herumzuführen.
»Jetzt kann ich's sowieso nicht mehr ändern!« teilte Tinchen ihrem Spiegelbild mit, als sie zur Zahnbürste griff. »Warum studiert er nicht einfach Jura wie sein Vater?«
Der Kakao stand schon dampfend vor seinem Platz, daneben lagen das eingewickelte Schulbrot nebst Apfel und Banane, als Björn mit erheblicher Verspätung in die Küche schlurfte. »Morj'n!«
»Guten Morgen, Björn.« Tinchen gab sich betont munter, obwohl sie viel lieber im Bett geblieben wäre, »gut geschlafen?«
»Gut ja, bloß zu wenig.« Mit einem Fuß zog er den Stuhl heran und ließ sich darauf fallen. »Der Wecker hat mich zwar daran erinnert, daß ich aufstehen muß, er hat nur nicht gesagt, warum!« Mißmutig starrte er in seinen Kakaobecher. »Da is ja lauter Pelle drauf!«
»Als ich ihn eingegossen habe, war noch keine da.« Sie reichte ihm einen Löffel, bevor sie sich ebenfalls setzte. »Willst du gar nicht wissen, wie es auf dem Elternabend gewesen ist?«
»Nö. Ich habe mir sagen lassen, daß die Diskussion, in welcher Kneipe man hinterher einen picheln geht, immer mit erheblich mehr Engagement geführt wird als eine mögliche Debatte über schulische Themen. – Hast du zufällig meine bequeme weiße Jogginghose gesehen?«
Tinchen verneinte. »Vielleicht kannst du sie nicht finden, weil sie inzwischen eine bequeme
graue
Jogginghose ist?«
Als Antwort kam ein gereiztes Knurren zurück. Trotzdem wagte sie einen Vorstoß. »Kennst du einen Thorsten Even?«
»Wieso? Hat der etwa meine Hose?« Dann schüttelte er den Kopf. »Wer soll das sein?«
»Das müßtest du besser wissen als ich, immerhin hast du ihm zu einer Vier minus in Latein verholfen.«
»Ach,
den
meinst du?« Björn fing an zu lachen. »Wenn er nicht selber noch drei Fehler reingehauen hätte, dann wär's 'ne glatte Vier geworden. Warum fragst du?«
»Nur so. Ich habe gestern abend seinen Vater kennengelernt und mir gedacht, wenn sein Sohn nur halb so sympathisch ist, solltest du ihn mal einladen.«
Björn sah auf die Uhr, sprang auf, stopfte Brot und Obst in seine Mappe und rannte durch die Tür zur Garderobe. Während er am Reißverschluß von seiner Chevignon-Jacke herumfummelte, kam er ein paar Schritte zurück. »Du warst schon weg, da hat die Ulla angerufen. Ob sie nachher den Tim vorbeibringen kann, der ist heute zum Geburtstag bei einem Manfred oder Markus oder so ähnlich eingeladen, aber sie hat keine Zeit, weil sie zu Herrn Reiki muß.« Dann knallte er die Haustür hinter sich zu und überließ es Tinchen, sich aus diesen vagen Informationen das zusammenzureimen, was über kurz oder lang auf sie zukommen würde.
Es kam zwei Stunden später, als Ulla, ein plärrendes Kind vor sich herschiebend, Einlaß begehrte. »Der Kerl ist unausstehlich«, behauptete sie, »und das nur, weil er heute nicht in den Kindergarten durfte.«
»Und warum durfte er nicht?« Tinchen drückte ihren Enkel an sich. »Bist du etwa krank, Timmy?«
»Nei-hein«, schluchzte der, »aber i-hich …«
»Er ist bei Marvin zur Geburtstagsfeier eingeladen«, fuhr Ulla dazwischen, »da kann ich ihn doch nicht im Räuberzivil
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