Hotel Mama vorübergehend geschlossen
als sein Freund Florian seinen Jahresurlaub dazu benutzte, Tinchen nach Italien hinterherzufahren und drei Wochen lang so zu umbalzen, daß sie ihn nach ihrer Rückkehr doch tatsächlich geheiratet hatte. Und er, Gerlach, hatte sich sogar breitschlagen lassen und den Trauzeugen gemimt, vermutlich in der stillen Hoffnung, daß die Ehe sowieso schiefgehen und er selber noch mal eine Chance kriegen würde. Es hatte nie eine gegeben, aber hatte Tinchen ihm nicht erst kürzlich versichert, daß er wirklich ein wahrer Freund sei? »Immer zur Stelle, wenn du uns brauchst!« hatte sie gesagt und ihm einen dicken Kuß gegeben. Ein Freund ist sowieso wertvoller als ein Ehepartner, hatte er sich immer wieder mal eingeredet, schließlich gibt es viel mehr Scheidungen als kaputte Freundschaften.
Nachdem das TAGEBLATT sein ruhmloses Ende gefunden hatte, hatte Gerlach lange gezögert, ob er beim neugegründeten ZEITSPIEGEL den ihm angebotenen Posten als Lokalredakteur annehmen oder nicht doch weiterhin freier Mitarbeiter bleiben sollte. Gegen das regelmäßige Einkommen hatte er ja nichts einzuwenden gehabt, gegen die regelmäßige Arbeitszeit allerdings sehr viel. Als Herr Dr. Dr. Vandevelde jedoch beiläufig erwähnt hatte, daß man den Gerichtsreportagen künftig nur noch wenig Raum geben würde und auch dies nur in besonders spektakulären Fällen, hatte sich Gerlach für den sichereren Arbeitsplatz entschieden. Das Amtsgericht betrat er jetzt nur noch, um an der Kasse seine überfälligen Knöllchen zu bezahlen, und seitdem man ihm die erste Rechnung vorgelegt hatte, besuchte er statt der Bars lieber Feinschmeckerlokale, da bekam er neuerdings Prozente.
Der Anruf erreichte ihn im Bad, wo er die drei über dem Spiegel hängenden Krawatten nach der am wenigsten bekleckerten inspizierte; zu der Vernissage könnte er natürlich ganz leger gehen, da war alles erlaubt, doch vorher mußte er wenigstens auf einen Sprung in das feudale Seniorenheim, wo der Herr Bürgermeister persönlich den Weihnachtsmann spielen würde – eine Rolle, die nach Gerlachs Ansicht hervorragend zu ihm paßte –, und das ging nicht ohne Schlips. Die Bewohner dieser elitären Behausung zogen sich sogar regelmäßig zum Abendessen um.
»Paßt eine grüne Krawatte mit hellblauen Streublümchen zu einem dunkelbraunen Anzug?« wollte er wissen, nachdem Tinchen sich gemeldet hatte.
»Nur, wenn du ein fliederfarbenes Hemd dazu anziehst«, empfahl sie lachend. »Was hast du denn vor?«
Er sagte es ihr. »Hinterher muß ich noch in die neueröffnete Galerie oben an der Graf-Adolf-Straße, die machen da ihre erste Ausstellung. Hast du nicht Lust mitzukommen? Von Malerei verstehe ich zwar nichts, aber bei solchen Gelegenheiten erfährt man immer den letzten Klatsch aus Kunst und Politik.«
»Und den kannst du dir natürlich nicht entgehen lassen!« sagte Tinchen sofort. »Klatsch ist nämlich, was man gern über Leute hört, die man nicht mag! Aber das tu dir mal schön alleine an, in die Ausstellung kriegen mich keine zehn Pferde. Ich bin vor kurzem in dem Laden gewesen, weil ich schon lange ein Bild für unsere Diele suche. Eine halbe Stunde bin ich da rumgetigert, habe mir mindestens zwanzig von diesen modernen Gemälden angesehen und bin dann zu dem Schluß gekommen, daß die Wand hübscher aussieht, wenn man sie läßt wie sie ist.«
»Kunstbanausin! War ja auch nur ein Angebot!« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Kannst du mir mal eben sagen, wie spät es genau ist?«
»Genau nicht, aber es muß so um fünf herum sein.«
»Tatsächlich?« sagte er erschrocken, »dann geht sie ja doch richtig. Das Dumme bei Digitaluhren ist, daß 16.50 Uhr lange nicht so spät aussieht wie zehn vor fünf. Jetzt muß ich aber sehen, daß ich in die Hufe komme. Also dann, Tina, tschüß, Gruß an deinen Nachwuchs, wenn du ihn mal siehst, und schönen Dank für den Anruf.« Er wollte gerade den Hörer auflegen, als ihm etwas einfiel. »Bist du noch dran?« brüllte er mit dreifacher Lautstärke. »Weshalb hast du eigentlich angerufen?«
»War nicht so wichtig.«
»Natürlich war es wichtig! Ohne Grund rufst du nie an! Also raus mit der Sprache! Brauchst du einen guten Scheidungsanwalt, Karten für das Pavarotti-Gastspiel oder doch bloß einen Mitesser, damit beim nächsten Familientreffen nicht wieder dreizehn Personen am Tisch sitzen?«
»Letzteres könnte durchaus möglich werden«, räumte Tinchen ein, »aber das erfährst du früh genug. Nein, ich will Flori
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