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Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Titel: Hotel Mama vorübergehend geschlossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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den drei angeheirateten Neffen war ihr Rüdiger am liebsten. Schon damals, als sie zusammen mit Florian den vorübergehend verwaisten Haushalt seines Bruders geschmissen und dessen vier halbwüchsige Nachkommen betreut hatte, war ihr dieser schlaksige Siebzehnjährige ans Herz gewachsen, der lieber Posaune spielte als Vokabeln zu lernen und zum Entsetzen seiner promovierten Mutter auch prompt durch's Abitur gefallen war. Worauf Gisela ihn in ein Internat verbannt hatte, wo man ihm seine musikalischen Flausen hoffentlich austreiben und dem widerborstigen Knaben doch noch zu einem angemessenen Schulabschluß verhelfen würde. Rüdiger hatte sich erstaunlich gefügig gezeigt und nur zur Bedingung gemacht, anhand der zahlreichen Prospekte seine künftige ›Haftanstalt‹ selber aussuchen zu dürfen. Während seine Mutter mehr Wert legte auf die angepriesenen psychologisch geschulten Fachkräfte und die nach modernsten Erkenntnissen entwickelten Lehrmethoden, war Rüdiger in erster Linie an jenen Anstalten interessiert gewesen, die auch Förderung der musischen Begabungen versprachen. Im tiefsten Odenwald fand sich eine, die sowohl Gisela als auch ihren Sohn zufriedenstellte, letzteren hauptsächlich deshalb, weil statt des in allen anderen Prospekten gezeigten Konzertflügels zwei junge Leute mit Gitarre und Saxophon abgebildet waren, was Gisela glatt übersehen haben mußte.
    Ein Jahr später hatte Rüdiger ein Dreier-Abitur in der Tasche sowie ein Stipendium für eine amerikanische Musikhochschule, das Gisela denn doch mit ihrem aus der Art geschlagenen Sohn etwas aussöhnte. Wäre es nach ihr gegangen, dann hätte ihr Jüngster Jura studieren sollen, aber warum eigentlich nicht Musik? Schließlich war er begabt, und wenn auch sein Talent wahrscheinlich nicht für eine Solo-Karriere reichen würde, so standen die Mitglieder großer Sinfonieorchester doch allgemein in hohem sozialen Ansehen.
    Allerdings hatte Rüdiger nicht die geringste Lust, sein restliches Leben der klassischen Musik zu weihen und folglich teilweise im Frack zu verbringen, zumal Posaunen in Sinfonie- oder Kammerkonzerten relativ wenig gebraucht wurden – ausgenommen bei Wagner. So schnupperte er sich lediglich durch das Stipendium, belegte Harmonielehre und Instrumentenkunde und zupfte ein bißchen Gitarre, doch Posaune spielte er überwiegend in der hauseigenen Band, die ihn begeistert aufgenommen hatte. Regelmäßige Engagements bei College-Bällen, Kirchen-Basaren und ähnlichen Veranstaltungen sicherten ihm das nötige Kleingeld, um einen Wagen kaufen, seine wechselnden Girls ausführen und nützliche Verbindungen pflegen zu können. Als das Jahr herum war und Gisela schon Überlegungen anstellte, ob Rüdiger seine Studien in Köln oder besser an der Musikakademie in Essen fortsetzen sollte, kam statt des zu erwartenden Heimkehrers lediglich ein zwei Seiten langer Brief, in dem Rüdiger seinen Entschluß mitteilte, in den Staaten bleiben zu wollen. Wenigstens vorläufig. Ihm stünde nicht der Sinn nach Bach und Haydn, vielmehr habe er seine Liebe zum Jazz entdeckt und werde deshalb zusammen mit ein paar Freunden nach New Orleans gehen. Keine Angst, Geld habe er vorerst genug, und im übrigen sei Tellerwaschen bekanntlich der bewährteste Start zu einer Millionärs-Karriere.
    Während Gisela bereits die Einschaltung des deutschen Botschafters oder zumindest eine Suchmeldung beim FBI in Erwägung zog, reagierte ihr Mann wesentlich gelassener. »Soll er sich doch ruhig noch ein bißchen den Wind um die Nase wehen lassen, bis er genau weiß, was er will. Und das wird er durchsetzen, ob dir das nun paßt oder nicht!« sagte Fabian mit einem triumphierenden Blick zu seiner Frau. »Den besten Beweis hat er uns doch gerade geliefert! Von wegen Sinfoniker! Hast du wirklich geglaubt, der Junge würde sich in ein Orchester sperren lassen?«
    Es dauerte genau zweieinhalb Jahre, bis Rüdiger zurückkam, und dann hatte er bereits eine achtmonatige Ehe mit nachfolgender Scheidung hinter sich und eine Dreiländertournee mit der von ihm gegründeten Jazzband geplant. Es gab einen Plattenvertrag, Fernsehauftritte und mehr Publicity, als Gisela jemals zu träumen gewagt hatte. Aber sie hatte es ja immer gewußt: Aus Rüdiger würde mal etwas ganz Besonderes werden! Sie hatte nur gewisse Schwierigkeiten, den Beruf ihres Jüngsten genau zu definieren. »Er ist Musiker«, klang viel zu allgemein und traf sowohl auf einen Konzertvirtuosen als auch auf einen

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