Hotel Mama vorübergehend geschlossen
allen Seiten bewundert und dann, wie angeordnet, mit lauwarmem Wasser gereinigt hatte, wollte sie es natürlich auch testen. Mit einem Kuchen! Am besten Marmorkuchen, bei dem konnte sie nichts verkehrt machen, der gelang immer. Zusammengerührt war der Teig schnell, hinein in die Form und ab in den Ofen. Ungemein praktisch, dieser herausziehbare Wagen, dazu das helle Licht und die riesige Glasscheibe, durch die man den Backvorgang bequem verfolgen konnte – ganz begeistert war sie gewesen.
Eine gute Stunde hatte der Kuchen sonst immer gebraucht, mit Umluft geht's aber schneller, hieß es, also hatte sie die Uhr auf 55 Minuten gestellt. Merkwürdig nur, daß sich überhaupt nichts tat! Nach zwanzig Minuten sah der Teig noch genauso roh aus, wie sie ihn in die Form gefüllt hatte, und als sie vorsichtig die Ofentür aufmachte, schlug ihr kalte Luft entgegen. Zwar wehte sie vorschriftsmäßig, nur eben kalt. Na ja, Anfangsschwierigkeiten, hatte Tinchen gedacht, bei manchen Geräten ist oft ein Probelauf erforderlich, neue Autos müssen ja auch erst eingefahren werden … Doch als nach 55 Minuten der Wecker klingelte und der Ofen noch immer keine Anstalten machte, das zu tun, was er sollte, nämlich heizen, wurde sie unruhig. Kurzer Check: Licht? Brennt. Umluft? Eingeschaltet. Zeit? War programmiert, inzwischen jedoch abgelaufen. Fazit: Der Herd ist defekt! Also telefonische Reklamation beim Promarkt. Moment bitte, zehn Takte
Kleine Nachtmusik
, dann »Was kann ich für Sie tun?«, höfliches Bedauern, Weiterverbinden zum Kundendienst, nochmal drei Minuten Mozart, sodann längeres wortreiches Bedauern sowie das Versprechen, sofort für Abhilfe zu sorgen. Die kam dann auch, allerdings erst am Spätnachmittag und ausgerechnet im selben Moment wie ein mißgelaunter Florian, der an einer Pressekonferenz im Landtag hatte teilnehmen müssen, wo es nicht mal was zu trinken gegeben hatte.
Der Kundendienstmensch hatte sich erst ausführlich von Tinchen erzählen lassen, was denn an dem nagelneuen, supergünstigen, weil preisreduzierten Luxusmodell nicht funktionieren würde, dann schaltete er das Licht ein, drehte die Temperatur auf 200 Grad, betätigte den Schalter für die Umluft, und schon Sekunden später war der erste Hauch von Wärme zu spüren. »Wat woll'n Se denn, jeht doch allet!« Beifallheischend sah er Tinchen an.
»Aber vorhin …« begann sie, als ihr siedendheiß einfiel, daß sie zwar alles das in Betrieb genommen hatte, was es an ihrem alten Herd gar nicht gegeben hatte, doch dafür hatte sie den Temperaturregler vergessen. Anstatt nun ihren interessiert danebenstehenden Ehemann unter einem Vorwand aus der Küche zu locken, danach dem Techniker ihre Dummheit zu beichten und ihn mit einem Trinkgeld nach Hause zu schicken, waren ihr Tränen der Wut in die Augen gestiegen und sie hatte verlegen gestammelt: »I-ich hab d-doch bl-bloß d-das Warmma-machen v-v-verges-sen!«
Worauf beide Männer in brüllendes Gelächter ausgebrochen waren, das sogar Herr Knopp von nebenan gehört und sich prompt aus dem Fenster heraus nach dem Grund der übermäßigen Heiterkeit erkundigt hatte. Bevor Florian ihn daran hindern konnte, hatte der Kundendienstmann den Sachverhalt geschildert, und wenige Tage später war nicht nur die nähere, sondern auch die weitere Umgebung über Tinchens Blamage informiert gewesen. Sogar Frau Antonie hatte davon erfahren, und zwar an der Käsetheke im Supermarkt.
Kein Wunder also, daß Tinchen geschworen hatte, sich zumindest an Flori für sein mangelndes Mitgefühl zu rächen, und dieser Wunsch hatte im Laufe der Monate keineswegs nachgelassen. Einen kleinen Triumph hatte sie ja eben gehabt, doch der genügte ihr noch nicht. Solange Florians Kampf mit dem Computer innerhalb der eigenen vier Wände blieb, war die Sache reizlos. Sie mußte unter seinen Kollegen die Runde machen, und um das anzuleiern eignete sich niemand besser als Hausfreund Gerlach.
Ihn hatte Florian mit in die Ehe gebracht, was jedoch nicht hieß, daß Tinchen ihn nicht auch schon gekannt hatte. Peter Gerlach war seinerzeit beim TAGEBLATT Gerichtsreporter gewesen, hatte jeden Zuhälter gekannt und jeden invaliden Bettler, der eine halbe Stunde nach Ladenschluß keiner mehr war, hatte in jeder sogenannten Bar freien Eintritt gehabt und niemals eine Rechnung bekommen, ausgenommen nach einem Besitzerwechsel, wenn der alte im Kittchen saß und der neue noch nicht wußte, wen er da vor sich hatte. Gerlach hatte seinerzeit sogar
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