Hotel Mama vorübergehend geschlossen
jetzigen Tag genoß Melanie bei ihrem Vater absolute Narrenfreiheit. Als sie ihr Soziologie-Studium nach dem dritten Semester hingeworfen und bei einem Schäfer in die Lehre gegangen war, weil sie nach Neuseeland auswandern und Schafzüchterin werden wollte, hatte er beide Augen zugedrückt und der herumwütenden Gisela klargemacht, daß jeder Mensch das Recht auf freie Entfaltung habe. Schließlich habe er selber ja auch mal Kunstreiter werden wollen.
Nachdem sich Melanie fünf Monate lang entfaltet und dabei festgestellt hatte, daß das Leben in überwiegend freier Natur zwar gesund, aber nicht eben komfortabel war, hatte sie beschlossen, Dolmetscherin zu werden, und zwar für asiatische Sprachen. Papa Fabian hielt das für eine sehr zukunftsorientierte Entscheidung und genehmigte eine mehrmonatige Reise nach Hongkong beziehungsweise Tokio, damit Melanie quasi vor Ort ausloten konnte, welche der beiden Sprachen ihr mehr liegen würde. Allerdings mußte sie entdecken, daß die Geschäftsleute in Hongkong fast alle englisch sprachen und die japanischen es gerade lernten, sofern sie es nicht auch schon konnten. Doch englische Dolmetscher gab es nun wirklich schon genug. Und was hielte der Papsi denn überhaupt von einem künstlerischen Beruf?
Davon hielt Papsi eigentlich gar nichts, letztendlich hatte er schon einen Abkömmling mit derartigen Ambitionen, doch dessen erfolgreiche Laufbahn war zu jenem Zeitpunkt ja noch nicht absehbar gewesen. Was Melanie denn so vorschwebe?
Schauspielerin natürlich, oder ob sich der Papsi nicht mehr an die Theater-AG des Gymnasiums erinnern könnte, bei der sie immerhin drei Jahre lang Mitglied und einmal sogar Hauptdarstellerin war.
»Ja, als zweite Besetzung«, hatte Fabian geschmunzelt, dann aber doch eingewilligt, daß sich seine Tochter in München und sicherheitshalber auch noch in Berlin zur Aufnahmeprüfung anmeldete. Nachdem sie zum zweitenmal durchgefallen war, mußte sie zugeben, daß ihre Zukunft wohl doch nicht auf der Bühne zu suchen sei, aber vielleicht dahinter. Conny habe ihr nämlich ein außergewöhnliches Stilgefühl bescheinigt, angeblich die Grundvoraussetzung für den Beruf des Requisiteurs. Gegen ein entsprechendes Entgelt, so ungefähr sechs- bis siebenhundert Mark im Monat, würde er sie ausbilden, und wohnen könne sie bei ihm, sogar kostenlos. Worauf Fabian beschloß, den beruflichen Werdegang seiner Tochter nunmehr selbst in die Hand zu nehmen. Zu diesem Zweck setzte er sich mit einem alten Studienfreund in Verbindung, der in Barcelona lebte und wissenschaftliche Bücher übersetzte. Seine spanische Ehefrau war an der dortigen Universität als Dozentin für Psychologie tätig. Speziell von ihr erhoffte sich Fabian einen beruhigenden Einfluß auf seine sprunghafte Tochter.
Den übte dann allerdings Ramón aus, der achtundzwanzigjährige Sohn ihrer Gastgeber und Student der Pharmazie. Melanie verliebte sich Hals über Kopf sowohl in den gutaussehenden Mann als auch in sein Studienfach und beschloß, Apothekerin zu werden. Eine sofortige Aufnahme des Studiums scheiterte allerdings an der Sprachbarriere. Als die mit Hilfe eines väterlichen Schecks und dem dadurch ermöglichten Privatlehrer überwunden war, hatte sich Melanie schon von Ramón ab- und Joaquin zugewandt. Der sah aus wie ein Zigeuner, war vermutlich auch einer, spielte Gitarre, sang melancholische Lieder dazu, tanzte abends in zwei Bars Touristen-Flamenco, und wenn er gegen Mitternacht damit fertig war, träumte er davon, nach Brasilien auszuwandern und Lehrer in einer Sambaschule zu werden. Melanie träumte mit.
Das war der Zeitpunkt, zu dem Señor Schumann seinem Gast ein Ticket nach Frankfurt kaufte und ihn persönlich zum Flugplatz brachte, nicht ohne vorher Freund Fabian Ankunftszeit und Flugnummer mitgeteilt zu haben. Allerdings wartete der vergebens. Seine Tochter hatte das Ticket zurückgegeben, war in Manolos Fiat gestiegen und mit ihm zusammen nach Córdoba gefahren, wo der Sohn eines honorigen Polizeibeamten Stierkämpfer werden wollte. Schon am nächsten Tag hatten ihn die dortigen Kollegen seines Vaters ausfindig gemacht, und Melanie hatte einsehen müssen, daß Manolo ein Waschlappen war, denn er hatte sich widerspruchslos dem väterlichen Rückruf gebeugt und sie einfach stehenlassen.
Nicht gewillt, reumütig und quasi als Versagerin nach Hause zurückzukehren, trampte sie nach Paris, bezog bei einer schon recht betagten Witwe ein möbliertes Zimmer und schrieb sich an der
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