Hotel Mama vorübergehend geschlossen
hatte, von den meterlangen Wattebauschketten und den Plastik-Innereien diverser Überraschungseier gar nicht zu reden. »Na ja, wenigstens den Kindern wird dieses Sammelsurium von Kitsch und Krempel gefallen«, hoffte sie.
»Wir müssen bloß noch was da oben machen.« Florian zog einen Stuhl heran, stieg hinauf und setzte probeweise einen Rauschgoldengel auf die abgebrochene Spitze. Einen Augenblick lang stand er aufrecht, dann kippte er langsam zur Seite. »Schon wieder ein gefallener Engel«, murmelte er und versuchte es zum zweiten Mal.
»Laß mal, ich hab schon was anderes!« Mindestens eine halbe Stunde lang hatte Tinchen am Nachmittag daran herumgebastelt, beflügelt von mehreren Tassen Tee mit Rum. Das Mischungsverhältnis hatte sich zunehmend zugunsten des Alkohols verschoben, dann war die Christbaumspitze fertig gewesen: Eine mit Silberputzmittel auf Hochglanz gewienerte und mit selbstklebenden Goldsternchen verzierte Würstchendose von Aldi. »Am längsten hat es gedauert, das Etikett runterzukriegen.« Sie kletterte auf den Stuhl, entfernte den schiefen Engel und stülpte die Büchse über die Stummelspitze. »Sitzt sie gerade? Ja? Dann hilf mir wieder runter!«
Gemeinsam betrachteten sie ihr Werk. »Etwas gewöhnungsbedürftig«, gab sie zu, »doch wenn Andy Warhol diese Kreation geschaffen hätte, stünde sie schon längst im Museum of Modern Art. Du mußt doch zugeben, Flori, daß sie viel ausdrucksstärker ist als diese fotografierte Suppendose, mit der er damals berühmt geworden ist.«
Florian bestätigte das bereitwillig, aber etwas anderes interessierte ihn viel mehr. »Was hast du eigentlich mit den Würstchen gemacht?«
»???«
»Na, die in der Dose waren?«
Einen Augenblick lang mußte sie überlegen, dann fiel es ihr ein: »Ich glaube, die habe ich alle gegessen.«
Er nickte verstehend. »Wenigstens einer, der in diesem Haus satt geworden ist! Und für die anderen machst du nachher Kartoffelsalat, ja? Gepellt und geschnippelt sind sie schon.«
Während Tinchen in die Küche rannte und in Windeseile alles in einzelne Gerichte verwandelte, was Florian in bereits zerkleinerter Form auf Tellern und Schüsselchen verteilt hatte, baute der die vielen Päckchen und Pakete auf, die in den letzten Tagen angeliefert worden waren. Alle waren mit Schildchen versehen, auf denen sowohl der Name des Empfängers als auch der des Spenders standen. »Na ja«, brummelte er, Frau Antonies Liebesgaben unter den Baum stapelnd, »die Hälfte hätte auch genügt. Da ist bestimmt wieder eine Menge Zeug drunter, bei dem man sich mit dem Gedanken trösten muß, daß es gut gemeint war.« Er dachte an den Reisewecker vom vergangenen Jahr, in weinrot damals, während der vom Geburtstag ein schwarzes Etui gehabt hatte, und der metallene Papierkorb neben seinem Schreibtisch hatte ihm auch nie gefallen; er rostete vor sich hin und war lediglich aus Gründen der Pietät noch nicht rausgeflogen.
Tinchen erschien mit einem Löffel in der Hand. »Meine Güte, das ergibt ja nachher einen halben Container voll Geschenkpapier und eine Ladung Sondermüll. Wer hat sich denn da mit dieser Unmenge Goldfolie ausgetobt?«
»Dein Bruder!«
»Natürlich, wer sonst? Der kann das Zeug ja auch steuerlich absetzen. Aber seine Verpackungen muß er diesmal wieder mitnehmen und selbst entsorgen, ich laß mich nicht mehr von den Müllmännern anmotzen, weil …«
»Tine, halt den Löffel gerade!«
»Was? Ach ja, probier mal, kann man das so lassen?«
Florian probierte und schnalzte mit der Zunge. »Prima. Was ist das?«
»Deine Pilzsuppe. Die hattest du so verwässert, daß ich sie nur mit viel Phantasie, noch mehr Calvados und zwei Packungen Jägersoße genießbar machen konnte. Jetzt schmeckt sie zwar nicht mehr nach Pfifferlingen, dafür heißt sie nun
Soupe à la maison Bender,
und ich kann nur hoffen, daß nicht wieder jemand das Rezept haben will.«
Wäre Frau Antonie tatsächlich kurz nach sieben Uhr gekommen, dann hätte sie ihre Tochter noch im Bademantel mit einer grünen Algenmaske im Gesicht und ihren Schwiegersohn in Unterhosen beim Schuheputzen angetroffen, doch als sie zwei Minuten vor acht Uhr klingelte, wurde sie von einem in dunkelblauen Zwirn gekleideten Florian empfangen und an das in cremefarbene Seide gehüllte Tinchen weitergereicht. »Frohe Weihnachten, Mutsch«, sagte sie, ihre Mutter liebevoll umarmend, und nicht mal Frau Antonie wäre auf den Gedanken gekommen, daß im Hause Bender der heutige Tag noch
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