Hotel Mama vorübergehend geschlossen
das jüngste kenne ich noch gar nicht … Wenn die in meine eiskalte Wohnung kommen, machen sie bestimmt gleich wieder kehrt. Sie haben doch Öl, nicht wahr? Für mich würde ich gar nicht bitten, ich bin eine alte Frau, aber die Enkelchen brauchen doch ein warmes Zimmer … Sie kommen ganz bestimmt? Und wann? Gegen zwei Uhr? Der liebe Gott wird es Ihnen vergelten, und ich auch, Sie sollen das ja nicht umsonst machen. Wieviel Liter? Höchstens fünfhundert, mehr kann ich mir auf einmal gar nicht leisten. Vielen vielen Dank, Herr Naujoks.« Sie buchstabierte noch die Adresse durch, dann legte sie sanft den Hörer auf. »Siehste, so macht man das! In zwei Stunden haben wir wieder eine warme Bude.«
»Du hättest ihn wenigstens den Tank vollmachen lassen sollen, da gehen' immerhin 5000 Liter rein«, sagte Florian vorwurfsvoll.
»Das hätte nicht zu meiner Rolle als arme Rentnerin gepaßt. Wenn er genug Öl mitbringt, kann er's ja reinkippen, Hauptsache, er kommt erst mal.«
»Ich wußte gar nicht, daß du so kaltblütig lügen kannst.«
»Der Zweck heiligt die Mittel«, meinte sie gleichmütig. »Ich weiß nicht mehr, wer das behauptet hat, aber es stimmt. Jedenfalls manchmal. Hätte ich dir vorhin nicht den Hörer weggenommen, dann könnten wir jetzt versuchen, mit Pfälzer Kartoffeln zu heizen.«
Herr Naujoks kam zwar erst um halb drei, doch das fiel Tinchen gar nicht auf. Sie hatte sich entschlossen, ihre Gehirnerschütterung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben und stattdessen den alten ausgebeulten Jogginganzug angezogen, der Florian gehörte und ihr viel zu groß war. Dann hatte sie mit grauem Lidschatten ihren Augen einen leidvollen Blick verpaßt, auf Lippenstift, Bürste und Haarspray verzichtet und zum Schluß ein Paar ausgelatschte Turnschuhe angezogen, in denen sie müde die Treppe hinunterschlurfte, so daß Florian bei ihrem Anblick erschrocken ausrief: »Mach sofort, daß du ins Bett kommst, du siehst ja grauenvoll aus!«
»Ich bin eine arme, alte, frierende Frau«, erinnerte sie ihn, »und jetzt sieh zu, daß du endlich den Weihnachtsbaum in den Ständer kriegst!«
Als der Tankwagen vor das Haus fuhr, hatte Tinchen bereits die Zimmer auf Vordermann gebracht, den Tisch für das Abendessen gedeckt, zwei telefonische Hilfsangebote ihrer Mutter abgewimmelt, mit Tim – ebenfalls telefonisch – die Frage erörtert, ob der Weihnachtsmann möglicherweise Hilfskräfte habe, die ihm beim Austragen der Geschenke zur Hand gehen würden (sie hatten sich auf rollschuhfahrende Engel geeinigt), mit Florian zusammen die Lichterketten entwirrt, drei Oberhemden gebügelt und sich gerade beim Abgießen der Salatkartoffeln zwei Finger verbrüht.
»Weißt du was?« hatte sie gefragt, während sie mit einem halben Dutzend Lichtersträngen über den ausgebreiteten Armen auf der Leiter stand, »ich habe einfach keinen Bock auf dieses dämliche Fondue! Jedes Jahr das gleiche Theater! Toni beklagt den Verfall der Sitten, weil wir ihr zumuten, mit anderen aus einem Topf zu essen, die Kinder verbrennen sich regelmäßig die Zunge, außerdem dauert es viel zu lange, bis man satt ist, und von den Soßen kippe ich hinterher immer die Hälfte weg. Warum soll ich mir dann die ganze Arbeit machen?«
»Du hast ja völlig recht, Tine – jetzt laß mal die erste Kette vorsichtig runter! –, aber irgendwas mußt du ihnen doch vorsetzen! Der Mensch lebt nicht von Plätzchen allein, nicht mal zu Weihnachten!«
»Was hältst du von Kartoffelsalat mit Würstchen? Wie in alten Zeiten.«
»Wirklich?« Florian bekam einen sehnsüchtigen Blick. »So richtig mit Mayonnaise und garniert mit Eiern und Tomaten? Und dazu schöne knackige Wienerle?«
»Nee, Bockwürste von Aldi. Aus der Dose. Andere habe ich nicht.«
»Das geht nicht, das wäre ein kulinarischer Fauxpas!« protestierte er, »lieber fahre ich schnell zum Metzger und hole richtige.« Er sah auf die Uhr. »Halb zwei. Hat der noch auf?«
»Das wirst du schon sehen, wenn du dort bist. Soll ich übrigens bis zu deiner Rückkehr hier so stehenbleiben?« Mit dem Kinn deutete sie auf ihre noch immer gespreizten Arme.
»Nein, du kannst heruntersteigen und die Ketten auf die Sessellehne leg … Halt! Langsam! Du nimmst den Baum …«
Zu spät. Im Zeitlupentempo kippte die Tanne nach vorne, und hätte Florian nicht im letzten Augenblick die Spitze zu fassen bekommen und den endgültigen Fall verhindern können, dann wäre Tinchen unter dem Edelgewächs begraben worden.
Weitere Kostenlose Bücher