Hotel Mama vorübergehend geschlossen
angebrochene Zigarettenpackung – ihre eiserne Reserve –, fand sogar auf Anhieb einen Kugelschreiber und griff nach einem kurzen Rundblick zur Schachtel mit den Kaffeefiltern. »Ich muß in der Küche wirklich mal einen Notizblock deponieren«, murmelte sie, »oder wenigstens weiße Filtertüten kaufen statt braune.« Dann zog sie eine heraus, setzte sich an den Tisch und begann zu schreiben. Immer wieder hielt sie inne, verbesserte, strich etwas durch, nahm eine zweite Tüte, weil die erste schon vollgekritzelt war, fing wieder von vorne an … es dauerte lange, bis sie den Kugelschreiber aus der Hand legte. »So könnte es gehen!« Noch einmal überprüfte sie ihre Notizen.
Wenn Björn ihr Zimmer bekäme, dann wäre die Mansarde, in der er diese Nacht geschlafen hatte und die normalerweise als Spielzimmer für Tim und Tanja diente, frei für Matthias und Michael. Da es dort nur ein altes Sofa gab, würde einer der beiden Jungs eben eine Luftmatratze nehmen müssen. Tinchen ahnte schon jetzt, daß sie wieder viel diplomatisches Geschick würde aufwenden müssen, um Handgreiflichkeiten gleich im Keim zu ersticken. Aus ihr unbegreiflichen Gründen schliefen Kinder ausgesprochen gern auf Luftmatratzen und waren restlos glücklich, wenn sie dazu noch in einen Schlafsack kriechen und sich totschwitzen konnten.
Clemens und Katrin würden in dem ehemaligen Zimmer von Tobias nächtigen, da stand zum Glück noch die Ausziehcouch, ein selten häßliches Möbel mit einem schwarzdunkelblau marmorierten Bezug, aber bei seiner Anschaffung hatte Tobias gerade seine Udo-Lindenberg-Phase gehabt und alles abgelehnt, was farblich nicht zu einem Mausoleum gepaßt hätte. Er selber war nur in Schwarz rumgelaufen und hätte am liebsten auch noch einen Schlapphut getragen, wenn er denn einen in seiner Größe bekommen hätte.
Normalerweise brauchte Tinchen mit weiteren Logiergästen nicht zu rechnen. Tobias würde mit Weib und Kindern natürlich nach Hause fahren, Karsten – ob mit oder ohne Anhang – ebenfalls, Gisela und Fabian, so er denn tatsächlich mitkäme, übernachteten immer in dem kleinen Hotel direkt am Rhein, wo Florian schon vorsichtshalber ein Zimmer reserviert hatte, und sonst hatte sich ja niemand offiziell angemeldet. Blieben also die Nur-zum-Mittagessen-Gekommenen, die gleich nach dem Kaffeetrinken wieder wegfahren wollten, zur Abendbrotzeit immer noch da waren und schließlich zwecks Vermeidung von Strafmandat und Führerscheinentzug auch noch beherbergt werden mußten. Das würde wohl in erster Linie Melanie betreffen samt ihrem Jean-Pierre und möglicherweise auch noch Rüdiger mit seiner wie auch immer gearteten Überraschung. Tinchen hoffte nur, daß er nicht noch die restliche Band mitbrachte. Zu dumm, daß sie nicht gefragt hatte. Immerhin war das schon mal vorgekommen, allerdings im Hochsommer; da hatte der ganze Verein im Garten eine Jamsession improvisiert, und später, nach einer mit Hilfe der gesamten Nachbarschaft veranstalteten Grillparty, waren sich die Nachbarn in die Haare geraten, welcher Musiker bei wem übernachten durfte. Nach der Polizei, die sonst bei sommerlichen Gartenfesten spätestens um ein Uhr vorzufahren pflegte, hatte damals niemand gerufen! Diesmal würde es im Bedarfsfall bestimmt keine kostenlosen Quartiere geben, und Tinchen konnte nur hoffen, daß auch Jazzmusiker Familiensinn hatten und zu Hause feierten. Für ein Gratiskonzert im Freien wäre es sowieso zu kalt.
Sie steckte sich eine neue Zigarette an und verbesserte die Eintragungen auf der letzten Filtertüte. »Wenn sowohl Rüdiger als auch Melanie dableiben, wird's wirklich eng, da kann ich auf Gefühlsbindungen keine Rücksicht mehr nehmen!« Sie strich zwei Namen durch und setzte sie an eine andere Stelle. »Schlimmstenfalls kriegt Rüdiger das Klappbett und muß zu Björn ins Zimmer, während seine Überraschung zusammen mit Melanie im Arbeitszimmer schläft. Vorausgesetzt natürlich, die Überraschung ist weiblich. So langsam traue ich Rüdiger alles zu! Und diesen Jean-Pierre werde ich wohl oder übel zu den beiden Jungs in die Mansarde stecken müssen.« Sie drückte ihre Zigarette aus und stand auf. Dann setzte sie sich doch wieder hin. »Vielleicht ist es besser, wenn Jean-Pierre zusammen mit Rüdiger in ein Zimmer geht. Wer weiß, ob er deutsch spricht, aber Rüdiger kann bestimmt ein bißchen Französisch. Dann müßte allerdings Björn zu den Kids … Wißt ihr was?« wandte sie sich an ein imaginäres
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