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Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Titel: Hotel Mama vorübergehend geschlossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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aufgegeben?«
    »Du lieber Himmel, nein! Wie kommst du darauf?« Doch dann verstand sie. »Ach, du meinst, weil wir jetzt hier draußen stehen? Reiner Selbsterhaltungstrieb! Meine Mutter duldet mein Laster zwar schweigend, aber ihre Miene spricht Bände, und das seit vierzig Jahren. Frau Ka-Ka hüstelt jedesmal dezent, jedoch unüberhörbar, und ob du Giselas Kommentar vorhin mitgekriegt hast, weiß ich nicht, aber sie leidet immer so sichtbar. Florian hat mal gesagt, die Bewegungen, mit denen sie den imaginären Rauch wegwedelt, erinnern ihn an die Übungen der Tai-Chi-Anhänger.« Sie bückte sich und steckte den Zigarettenstummel in den Schneerest, der neben dem Eingang vor sich hintaute. Katrin tat es ihr nach. »Na, dann komm!« sagte sie betont munter, »hoffentlich ist die Stimmung nicht schon wieder unter den Gefrierpunkt gesunken. Wenn Gisela anwesend ist, geht das meist ziemlich schnell. Es sei denn, sie wird früh genug abgefüllt!«
    Tinchen hielt inne. »Willst du damit andeuten, daß sie …«
    »… trinkt? Wußtest du das nicht?«
    »Woher denn? Ich sehe sie doch bestenfalls einmal im Jahr. Und Fabian noch seltener, abgesehen davon, daß er sein Herz nicht gerade auf der Zunge trägt.«
    »Inzwischen ist er gesprächiger geworden, jedenfalls seinem Sohn gegenüber. Er ruft jetzt öfter mal abends an, und kürzlich ist Clemens sogar für zwei Tage raufgefahren, aber während dieser Zeit muß sie sich wohl mächtig zusammengerissen haben. Wenn sie will, kann sie, aber sie will eben immer seltener.«
    Trotz Björns düsterer Prognose hatte es im Wohnzimmer noch keine Toten gegeben, es herrschte im Gegenteil eine recht gelockerte Stimmung, was Tinchen auf den Cognac zurückführte, den Florian inzwischen herumgereicht hatte. »Trinkt ihn mit Genuß!« hatte er gesagt, »er ist nämlich echt! In Frankreich gekauft und erfolgreich am Zoll vorbeigeschmuggelt.«
    »Der ist doch innerhalb der EU abgeschafft!« hatte Tobias erinnert.
    »Ja, jetzt! Aber noch nicht vor vier Jahren!«
    Da hatte sich zum erstenmal Annabelle zu Wort gemeldet. »Kann man ihn denn überhaupt noch trinken? Oder haben Sie gar nicht auf das Verfallsdatum geguckt?«
    Sekundenlang herrschte verblüffte Stille, doch dann wurden die unterbrochenen Gespräche ganz schnell und in doppelter Lautstärke fortgesetzt. »An den Blondinenwitzen muß was Wahres sein!« flüsterte Katrin, mühsam das Lachen unterdrückend, »ich habe soeben mein bescheidenes Repertoire um einen weiteren vergrößert.«
    Tinchen war sich nicht sicher, ob diese Sie-können-aber-Bella-zu-mir-sagen wirklich so naiv war, wie es schien, oder nur – dann allerdings sehr überzeugend – die Rolle des blonden Dummchens spielte. Schon immer hatte Karsten bei der Wahl seiner Freundinnen mehr Wert auf deren äußere Erscheinung gelegt als auf den Intellekt, es gefiel ihm ganz einfach, wenn sich die Männer nach ihnen umdrehten und ihn dabei mit einem neidischen Blick bedachten. Aber wenn man auf die Fünfzig zugeht, sollte man langsam vernünftig werden, fand Tinchen, und sich jemanden suchen, der auch noch ein paar weniger sichtbare Vorzüge aufzuweisen hat.
    Auf Annabelle traf das allerdings nicht zu. In der diffusen Beleuchtung vor der Garderobe hatte Tinchen sie auf höchstens Mitte Zwanzig geschätzt, bei Tisch trotz des schmeichelnden Kerzenschimmers fünf Jahre dazugegeben, und jetzt im Schein der schon tiefstehenden Sonne erkannte sie, daß Annabelle den Vierzigern näher stand als den Dreißigern. Die Fältchen um Augen und Mund sowie den ersten Ansatz eines Doppelkinns konnte auch das raffinierteste Make-up nicht kaschieren. Außerdem war sie, was Tinchen schon vermutet hatte, so wenig eine Blondine wie sie selber, und die schulterlangen Locken verdankte sie nicht der Natur, sondern der Chemie und einem ausgezeichneten Friseur. Diese Frau war im oberen Drittel größtenteils ein Kunstprodukt, entschied Tinchen und fragte sich im stillen, ob Karsten sie jemals ohne Schminke gesehen hatte.
    »Jetzt guck endlich mal woanders hin«, wisperte Katrin, »es fällt allmählich auf!« Sie zog Tinchen in den Wintergarten, wo Gisela dem nunmehr vergrößerten Auditorium die erst unlängst abgeschlossenen Renovierungsarbeiten ›in unserem kleinen Eigenheim‹ schilderte. »Ich weiß sowieso nicht, was du an dieser nichtssagenden Person findest. Sie gehört doch zu jenen Typen, die nie älter werden können. Wenn sie so weitermacht, wird sie in ein paar Jahren nur noch

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