Hotel Mama vorübergehend geschlossen
Apfelsaft war über Michaels Rotkohl geschwappt, der hatte ganz laut »Iiiihhhh! Das esse ich aber nicht mehr!« geschrieen, Julia hatte einen frischen Teller holen wollen, was Matthias mit der Bemerkung verhindert hatte: »Der ist doch sowieso längst satt, sonst hätte er nicht dauernd mit den Nudeln Eisenbahn gespielt!«, und schließlich hatte Clemens seine Sprößlinge vom Tisch verwiesen.
»Wir gehen mit!« hatte Tim gedroht. »Weil wir nämlich soldatisch sind!«
»Solidarisch«, hatte Katrin gesagt, »aber dann seid ihr logischerweise auch alle vier satt! Wenn Tante Tina nichts dagegen hat, könnt ihr verschwinden! Aber leise!«
Tante Tina hatte nichts dagegen gehabt, das Jungvolk war bemüht leise abgetrabt, hatte nur zwei Türen hinter sich zugeknallt und erst auf der Treppe angefangen zu streiten, und wenig später war Tinchen aufgefallen, daß von den übrigen Gästen auch niemand mehr aß. Die meisten saßen sogar vor leeren Gläsern, lehnten ein Nachschenken jedoch ab.
»Ich weiß ja, daß das wieder gegen die guten Sitten verstößt, aber wenn alle fertig sind, sehe ich nicht ein, weshalb wir noch länger vor den abgekauten Knochen sitzen bleiben sollen.« Sie übersah Frau Antonies tadelnden Blick, ignorierte das unmerkliche Kopfschütteln von Frau Klaasen-Knittelbeek und sah lachend zu Katrin und Florian hinüber. »Ich würde nämlich auch ganz gern eine Zigarette rauchen!«
»Hast du dir das immer noch nicht abgewöhnt?« fragte Gisela spitz, »dazu gehört doch nur etwas Selbstdisziplin! Abgesehen von dem Gesundheitsrisiko geht diese Qualmerei doch auch ziemlich ins Geld, nicht wahr?«
»Bestimmt nicht soviel wie zweimal pro Woche ein Besuch beim Psychotherapeuten!« zischte Florian seiner Schwägerin ins Ohr, während er ihr scheinbar beim Aufstehen behilflich war. Sie preßte die Lippen zusammen und blickte ihn nur wütend an.
»Wer braucht einen Seelenklempner?« tönte Karsten. »Oder habe ich mich bloß verhört? Hoffentlich! Ist ein Psychotherapeut nicht so ein Mensch, der dem Vogel, den andere Leute haben, das Sprechen beibringt?!«
»Und wer gibt schon zu, daß er einen hat?« ergänzte Florian, »einen Vogel, meine ich.« Unauffällig dirigierte er seine nunmehr gesättigten und durchweg zufriedenen Gäste in die Kaminecke und in den Wintergarten, wo sie sich auf die verschiedenen Sitzgelegenheiten verteilten. Rüdiger schleppte sofort die beiden Lehnstühle hinterher, die eigentlich in Florians Arbeitszimmer gehörten, zur Feier des Tages jedoch Frau Antonie und Gisela zugestanden worden waren; Frau Klaasen-Knittelbeek hatte mit einem Korbstuhl aus dem Wintergarten vorliebnehmen müssen. Er hatte ebenfalls eine Lehne, sah allerdings weniger majestätisch aus, und daran hatten auch die beiden Seidenkissen nichts ändern können, die Julia noch im letzten Augenblick hineingelegt hatte.
Als Tinchen mit zwei leeren Platten in die Küche kam, wurde ihr das Geschirr sofort abgenommen und sie selbst hinauskomplimentiert. »Du läßt dich hier vorläufig nicht blicken!« hatte Julia gesagt, und Joyce, bereits mit einer Schürze dekoriert, hatte sie sanft zur Tür geschoben. »Jetzt sind wir an der Reihe! Sie haben so viel Arbeit gehabt mit dem phantastischen Essen, etwas möchten wir nun auch tun.«
»Aber …« hatte sie zu protestieren versucht, doch »Nichts aber!« hatte Björn sie unterbrochen, einen Stapel Teller hereintragend, »geh lieber zurück, bevor es da drinnen Tote gibt!«
Nachdem sie unter den freiwilligen Helfern auch noch Rüdiger entdeckt hatte und Katrin, die allerdings auch gerade mit dem Hinweis vor die Tür gesetzt wurde, sie sei absolut überflüssig, murmelte Tinchen schulterzuckend »Na, dann eben nicht!«, hakte Katrin unter und dirigierte sie zur Haustür. Vor der Garderobe stoppte sie. »Ich glaube, in meinem Mantel steckt noch ein Päckchen Zigaretten.« Sie tastete die Taschen ab und wurde fündig. »Daß mal kein Brot im Haus ist, kommt vor, aber ohne Zigaretten bin ich eigentlich noch nie dagesessen!« sagte sie ein wenig schuldbewußt. »Aber natürlich erst, seitdem die Kinder nicht mehr zu Hause sind.« Und als Katrin sie verständnislos ansah: »Ich meine, das mit dem Brot. Früher war natürlich immer welches da, auch wenn's bloß Knäcke gewesen ist.«
Während sie in der geöffneten Haustür standen und Rauchkringel ins Freie bliesen, fragte Katrin plötzlich: »Seit wann herrscht bei euch im Haus Rauchverbot? Hat Florian die Qualmerei etwa
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