Hotel Mama vorübergehend geschlossen
Plätzchen herum. Warum, zum Kuckuck noch mal, hätte ich also Kuchen backen sollen? Habe ich auch nicht, und deshalb gibt's nachher eben die Desserts, basta!«
Lebhafter Applaus belohnte Tinchens Monolog. Allerdings fanden nun auch noch diejenigen den Weg in die Küche, die bisher irgendwo faul herumgesessen hatten; mit Ausnahme der drei schon etwas betagteren Damen natürlich, die noch immer den Wintergarten besetzt hielten und mittlerweile in drei Tonlagen schnarchten.
»Jeder Jüngling hat nun mal 'nen Hang zum Küchenpersonal!« rezitierte Clemens, der sich als letzter hereindrängelte und die noch freien zwanzig Quadratzentimeter der Tischplatte mit einer halben Pobacke belegte.
»Von wegen Jüngling!« kam es aus der Ecke, wo Rüdiger mit eingezogenem Kopf unter dem Hängeschrank hockte, »als ich dich das letztemal gesehen habe, hattest du noch dunkle Haare. Seit wann hast du sie jetzt grau gefärbt?«
»Seitdem du eine Tonsur trägst!«
Rüdiger schluckte. Der schon recht spärlich gewordene Haarwuchs am Hinterkopf war sein großer Kummer, dem er ebenso intensiv wie erfolglos beizukommen versuchte. Trotzdem trällerte er munter vor sich hin: »Ich kämme mein Haar dorthin, wo's früher mal war …«
»Anscheinend kannst du sogar aus einem Problem einen Schlager machen!« brummte Clemens.
»Warum auch nicht?« stimmte Katrin zu. »Alles, was zu dumm ist, um gesprochen zu werden, wird heutzutage gesungen.«
»Bevor ihr euch weiter Liebenswürdigkeiten an den Kopf schmeißt, schlage ich einen Standortwechsel vor«, regte Florian an, »mein linkes Bein ist schon vor fünf Minuten eingeschlafen.« Er humpelte zur Tür. »Was haltet ihr von einem kleinen Spaziergang an den Rhein?«
Ulla winkte ab. »Gar nichts! Dort unten ist es immer so windig, und außerdem rennt da bestimmt halb Oberkassel herum. Und überhaupt müssen wir allmählich nach Hause, bevor die Kinder anfangen zu quengeln.«
»Die nehmen wir natürlich mit!« sagte Tinchen, »ein bißchen frische Luft können sie bestimmt vertragen. Und wir auch! Also los, macht euch fertig! In fünf Minuten ist Abmarsch!«
Die Küche leerte sich. »Man merkt, daß du keine Kiddies mehr hast.« Lachend schob Katrin ihre Schwägerin in den Flur. »In fünf Minuten habe ich bestenfalls beide Jungs erst mal auf Trab gebracht, danach vergehen mindestens weitere fünf Minuten, bis Matthias seine Mütze und Michael seinen zweiten Schuh gefunden hat, und wenn sie endlich fertig angezogen sind, fällt einem von ihnen ein, daß er noch aufs Klo muß. Der andere hat inzwischen seinen Schal in den Reißverschluß vom Anorak geklemmt und kriegt ihn nicht mehr zu, oder er hängt zur Abwechslung mal wieder mit dem Gürtel irgendwo fest und schreit um Hilfe.« Ein tiefer Seufzer folgte. »Wenn an der Lehre von der Evolution wirklich was dran ist, wieso haben Mütter dann immer noch nur zwei Hände? Ich jedenfalls habe es mir längst abgewöhnt, Minuten zu zählen, ich rechne nur noch im Halbstundentakt!«
Trotzdem schafften sie es, schon nach zwanzig Minuten marschbereit zu sein, und nach weiteren fünf konnte Tinchen die Gartentür hinter sich schließen. »Zählt mal durch, damit nachher keiner fehlt!«
»Zehn und vier Kinder!« klang es vom Nachbargrundstück, wo Frau Knopp ihren nur halb gefüllten Mülleimer betont langsam in die Tonne leerte. Sie hatte das Stimmengewirr gehört und sich nach einem flüchtigen Blick aus dem Küchenfenster entschlossen, diese hochinteressante Familie von nebenan noch einmal gründlich in Augenschein zu nehmen. Der Auftritt heute mittag mit den Putenkeulen war ja keineswegs so gelaufen, wie sie sich das vorgestellt hatte. Extra umgezogen hatte sie sich, nur um feststellen zu müssen, daß die Benders ganz gewöhnlich aussahen, also nicht mit dunklem Anzug und Paillettenkleid, wie man das immer im Fernsehen bei der Eduscho-Reklame vorgeführt kriegt, wenn alle feingemacht neben dem Weihnachtsbaum sitzen und Kaffee trinken – irgendwie war das enttäuschend gewesen. Der Herr Florian hatte ihr ein Glas mit was Gelbem drin in die Hand gedrückt, das hatte aber überhaupt nicht geschmeckt, weil es gar nicht richtig süß war. Dann hatte er sie als liebe Nachbarin vorgestellt, die immer so hilfsbereit war, und danach hatte er sie wieder zur Tür hinausgeschoben und ihr guten Appetit für die Putenkeule gewünscht. Sie hatte ja nicht mal Zeit gehabt, die Negerin genau anzusehen, und zu gern hätte sie gewußt, wer die denn mitgebracht
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