Hotel Mama vorübergehend geschlossen
hatte. So eine honorige Familie mit so vielen Studierten, und dann sowas! Was wohl die alte Frau Pabst dazu gesagt hatte? Die sah doch immer so gediegen aus, so vornehm – genau so stellte sich Frau Knopp eine englische Lady vor. Sie war ja auch die einzige gewesen, die ein festliches Kleid angehabt hatte, etwas Raschelndes mit einem spitzen Ausschnitt, bestimmt aus Taft, und dazu die Perlenkette … doch, Frau Antonie hatte Frau Knopps Weltbild wieder etwas geradegerückt.
Toni hätte sich allerdings bedankt. Ein Taftkleid! Das hatte sie als Kind jeden Sonntag anziehen müssen und natürlich an allen Feiertagen, dunkelbraunkariert war es gewesen, und geknistert hatte es so laut, daß sie sich niemals heimlich anschleichen und hinter der Tür hatte lauschen können, wenn sich die Erwachsenen unterhielten. Sogar ihr erstes Abendkleid, damals zum Tanzstunden-Abschlußball, war aus Taft gewesen, hellrosa, und ihre zweitbeste Freundin hatte etwas von Zuckerstange gekichert. Sie war ja dann auch die längste Zeit ihre Freundin gewesen, doch seitdem haßte Frau Antonie Taftkleider und hätte freiwillig keins mehr angezogen. Außerdem machte Seide sowieso viel mehr her!
Frau Knopp zupfte Tinchen am Ärmel. »Hat Ihnen denn die Pute geschmeckt?«
»Natürlich! Sie war ganz ausgezeichnet«, beteuerte sie sofort.
»Dann haben Sie aber Glück gehabt! Unsere Keule war nämlich zäh wie Leder, Alois hat gesagt, die würde nicht mal ein Hund kauen können. Haben Sie die als Sonderangebot gekriegt?«
»Um Himmels willen, nein!« wehrte Tinchen ab. »Die habe ich in unserem Supermarkt gekauft.« Die Sache war ihr furchtbar peinlich. Außer Karsten und Florian hatte ja niemand die Putenkeulen probiert, und da ihr Bruder so ziemlich alles aß, was er nicht selber hatte kochen müssen, und Florian schon aus Tradition immer ein bißchen herummeckerte, hatte sie seine Bemerkungen von wegen Steinzeitwaffe und mittelalterlichem Wurfgeschoß natürlich nicht ernst genommen.
»Tiiine! Wo bleibst du denn?«
»Komme gleich!« schrie sie zurück und sicherte Frau Knopp zu, gleich morgen, wenn die Gäste wieder abgereist seien, rüberzukommen und gemeinsam zu überlegen, in welcher Form man den Filialleiter zur Rechenschaft ziehen könnte.
»Es is ja nur komisch, daß ausgerechnet
unsere
Putenkeule so zäh gewesen ist …«
Bevor sie ihren Lieben hinterherspurtete, erinnerte Tinchen Frau Knopp daran, daß die sich ihren Braten ja unter den Fleischstücken selbst ausgesucht hatte. »Vielleicht haben Sie wirklich nur Pech gehabt!«
»Von wegen«, murmelte Frau Knopp, ihren Mülleimer greifend und zur Haustür schlurfend, »wenn's kein Sonderangebot gewesen ist, dann war's bestimmt kurz vor dem Verfallsdatum. Die Sachen sind ja auch immer runtergesetzt!«
Die Vorhut des Familienclans war bereits in die Straße eingeschwenkt, die geradewegs zum Rhein führte. Ein unangenehm kalter Wind blies ihnen entgegen, und insgeheim beneidete Tinchen ihre Schwiegertochter, die unter dem Vorwand, ihre neuen Schuhe noch nicht richtig eingelaufen zu haben, zu Hause geblieben war. Sie-können-aber-Bella-zu-mir-sagen hatte ebenfalls keine Lust gehabt, folglich hatte Karsten seinen Mantel wieder ausziehen müssen, um ihr Gesellschaft zu leisten. Doch, er würde inzwischen den Kamin anzünden, hatte er zugesichert, es zumindest versuchen, denn bei diesem antiken Modell sei das Hantieren mit Feuer nicht ganz ungefährlich, und Ulla hatte versprochen, in größeren Mengen frischen Kaffee zu kochen und sich um die zu nachmittäglichen Snacks ernannten Desserts zu kümmern. Ob es denn recht sei, wenn sie einzelne Portionen auf Tellerchen und Schüsselchen verteilen und als eine Art kaltes Büffet im Wohnzimmer aufbauen würde?
»Leg aber genügend Löffelchen dazu«, hatte Tinchen geantwortet, »und stell auch ein paar Kekschen hin!« Manchmal ging ihr ihre Schwiegertochter doch etwas auf die Nerven!
»Brrr, ist das kalt!« schnatterte sie, als sie ihre Sippe eingeholt hatte und sich bei Florian unterhakte. »Wir hätten besser in die entgegengesetzte Richtung gehen sollen.«
»Meinst du, da ist es wärmer?« Er legte den Arm um sie und drückte sie an sich. Mit dem Finger deutete er zu dem träge dahinfließenden Strom und den dicht am Ufer herumdümpelnden Wasservögeln. »Sei froh, daß du keine Ente bist, stell dir bloß mal vor: Immer mit'm Bauch im kalten Wasser!«
Fabian, der sich bis jetzt intensiv mit seinem Enkel unterhalten hatte, gesellte sich
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