Hotel Mama vorübergehend geschlossen
trotz energischem Drängeln nichts sehen. Es gab zu viele Personen und zu wenig Platz. »Da ist doch nicht etwa jemand die Treppe heruntergefallen?« murmelte sie, doch es klang genauso, als erhoffte sie das Gegenteil.
»Nein, alle leben noch.« Clemens, noch die brennende Zigarette in der Hand, hob den Schalltrichter auf, setzte die Posaune wieder zusammen und gab sie Rüdiger. »Hat anscheinend 'ne kleine Beule abgekriegt. Wie ist das passiert? Hast du damit etwa die Kinder verprügelt?«
»Quatsch!« sagte Florian, »runtergeschmissen.«
»Glaubst du, jetzt klingt sie besser?«
Ein vernichtender Blick traf Clemens, bevor sich Florian an seinen Neffen wandte. »Tut mir ja leid, aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen, das Instrument kriegst du natürlich ersetzt. Wofür hat denn Tobias für Tim und Tanja eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen?«
»Ich war das doch gar nicht!« brüllte Tim sofort, denn er hatte lediglich seinen Namen verstanden und die vermeintlich kaputte Posaune auf dem Boden liegen sehen, »die kann ich ja noch gar nicht halten, weil sie so schwer ist.«
»Und woher weißt du das?« examinierte sein Vater.
Im selben Moment war Tim klar, daß er sich verplappert hatte. Natürlich hatte er nicht widerstehen können, als er das Instrument in Opas Zimmer liegen sah. Er hatte sich darübergebeugt und ganz vorsichtig hineingeblasen, doch es war gar kein Ton herausgekommen. Da hatte er probiert, diese große Tröte anzuheben und an den Mund zu setzen, aber den Versuch hatte er ganz schnell wieder aufgegeben. Das Ding war einfach zu schwer. »Ich hab nur mal reingeblasen, wie die Po-Po-saune auf'm Stuhl gelegen hat«, schluchzte er. »Aber da muß sie sch-schon kaputt gewesen sein, w-weil da is g-gar k-keine Musik rausgek-kommen.«
Worauf Rüdiger dem vermeintlich defekten Instrument ein paar Takte von
Jingle Bells
entlockte und die Debatte mit den Hinweisen beendete, daß diese Posaune erstens keineswegs kaputt, zweitens das älteste seiner drei Instrumente sei und nur noch zu Übungszwecken benutzt werde und drittens er selber eine entsprechende Versicherung habe, die er wegen dieser Lappalie jedoch nicht in Anspruch zu nehmen gedächte.
Die Versammlung begann sich wieder aufzulösen, doch weil sie sich nun schon mal aufgerappelt hatten und ohnehin vor der Garderobe standen, entschlossen sich Frau Antonie und Frau Klaasen-Knittelbeek zum Aufbruch, was naturgemäß eine Art Kettenreaktion auslöste, die von Tinchen wohlweislich nicht unterbrochen wurde. Ulla hatte ja schon vor zwei Stunden gehen wollen, war jedoch bei ihrem Anhang auf wenig Gegenliebe gestoßen und mußte sogar jetzt noch energisch werden, während Karsten sich nunmehr bereiterklärte, seine Mutter und Frau Ka-Ka nach Hause zu fahren und bei dieser Gelegenheit auch Annabelle aus dem Verkehr zu ziehen. Das sagte er natürlich nicht, doch bei dem Gedanken, für den Rest des Tages seine nun wirklich etwas unbedarfte Begleiterin dem harten Kern des Bender-Clans ausliefern zu müssen, bekam er Angst vor der eigenen Courage und Mitleid mit Annabelle. Weshalb, um alles in der Welt, hatte er denn auch ausgerechnet
sie
einladen müssen? War er eigentlich besoffen gewesen? Man stellte doch jemanden, den man auf einer belanglosen Party kennengelernt und noch in derselben Nacht abgeschleppt hatte, nicht eine Woche später seiner gesamten Familie vor!
Während er das vor sich hinkichernde Wesen in seinen pflaumenfarbenen Kunstpelz hüllte, der nicht mal bis zum Knie reichte und kaum einen praktischen Sinn hatte, erhaschte er einen Blick seiner Mutter, und der sprach Bände! Wie ein kleiner Junge kam er sich wieder vor, wenn er vergessen hatte, vor dem Essen die Hände zu waschen und wortlos, nur mit einem einzigen Blick, vom Tisch gescheucht worden war. »Tschüß, Tine«, beeilte er sich denn auch zu sagen, als er seine drei Damen im Wagen untergebracht hatte und das in der Kälte zitternde Tinchen herzlich umarmte, »danke für die Bewirtung und überhaupt …«, er senkte die Stimme zu einem Flüstern, »ich glaube, blond steht mir
doch
nicht!« Und als sie nachdrücklich nickte, seufzte er: »Klare Erkenntnis ist oft der erste Schritt zur Resignation!«
»So, der anstrengendste Teil der Sippe ist weg.« Erleichtert winkte Florian dem Auto hinterher. »Ich liiieeebe den Anblick von Rücklichtern!«
»I-i-ich au-auch!« schnatterte Tinchen, »aber bevor die nächsten abfahren, muß ich mich erst mal aufwärmen«. Sprach's,
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