Hotel Mama vorübergehend geschlossen
geistige Zurechnungsfähigkeit bezweifelt. Ihre eigene mitunter auch, denn normal empfindende Menschen hätten diese maulenden, meckernden, räsonierenden und verschlampten Halbstarken bestimmt längst in eine Erziehungsanstalt gesteckt.
Björn allerdings schien eine Ausnahme zu sein. »Stell dir vor, Julia, als ich vorhin herunterkam, war der Tisch gedeckt, der Kaffee gekocht, und frische Brötchen waren auch schon da.«
»Na und?« sagte Julia und nahm sich eins.
»Was heißt ›na und‹? Ihr habt seinerzeit doch nicht mal gewußt wo der Brotkorb steht. Das einzige, was euch in der Küche interessiert hat, war der Kühlschrank! – Willst du dich nicht endlich mal hinsetzen?«
»Nee, ich möchte ins Bad, bevor sich jemand anders da drinnen breitmacht.« Sie packte zwei Scheiben Salami auf ihr Brötchen, krönte sie mit einer Scheibe Emmentaler und biß hinein. »Da oben rührt sich nämlich was!«
Das war leicht untertrieben. Es mußte ein Exemplar der vom Aussterben bedrohten Großwildarten sein, das da über ihren Köpfen sein Unwesen trieb. Man hörte schwere Schritte, dann ein Schnauben und Grunzen, Wasser plätscherte, ein Hirsch röhrte (Sie hatten alle noch keinen röhren hören, waren sich aber einig, daß es sich genauso anhören mußte!), und schließlich bewegte sich ächzend ein Elefant die Treppe herunter. Was dann im Bademantel mit zerstrubbelten Haaren und nur einem Hausschuh um die Ecke schielte, sah allerdings weniger majestätisch aus. »Ich hasse den Montag«, stöhnte Florian, sich am Türrahmen festhaltend, »da fängt alles wieder von vorne an.«
»Heute ist Sonntag!« kam es dreistimmig zurück.
»Noch schlimmer, dann muß ich ja arbeiten gehen!« Nachdenklich betrachtete er seinen nackten Fuß. »Kann ich gar nicht, mir hat nämlich jemand einen Schuh geklaut! Und ohne Schuhe kann ich nicht arbeiten gehen. Am besten lege ich mich wieder hin.« Er drehte sich um und schlurfte zurück zur Treppe.
»Man soll den Schnaps nicht vor dem Rollmops loben! Ich glaube, Paps ist noch immer nicht nüchtern.« Nun setzte sich Julia doch an den Tisch und goß Kaffee in ihre Tasse. »Ich warte lieber, bis er sein Bett gefunden hat.«
»Zwei Stunden bewillige ich ihm noch, aber danach muß er sich einigermaßen regeneriert haben«, sagte Tinchen, »soviel ich weiß, ist der Doppeldoktor noch im Urlaub, also ist automatisch dein Vater verantwortlich für den ganzen Kram, der morgen in der Zeitung steht. Auf jeden Fall muß er sich ein paar Stunden lang in der Redaktion sehen lassen, egal wie.«
»Ob er mich da wohl mitnimmt?« Björn war Feuer und Flamme. »Ich wollte schon immer mal wissen, wie es in einer Redaktion zugeht.«
»Deschillusionischend!«
»Was?«
Julia schluckte den letzten Bissen herunter und griff nach dem nächsten Brötchen. »Ich sagte desillusionierend. Kurz vor dem Abi habe ich auch mal die Idee gehabt, Starreporterin bei der Vogue zu werden oder wenigstens bei der Bunten, warum, weiß ich heute nicht mehr, ich glaube, das war wegen dem Aufsatz über Böll, da habe ich nämlich zum erstenmal eine Eins gekriegt und fühlte mich zu journalistischen Höhenflügen berufen. In den Herbstferien hat mich Vati in seiner Redaktion volontieren lassen, und danach hatte ich die Nase gründlich voll! Von wegen Arbeitsessen im Fünf-Sterne-Hotel zwecks Interview mit irgendeinem Prominenten, oder 'ne Pressekarte für die Boxenstraße beim Formel-1-Rennen, kleinen Talk mit Jochen Maas und diesem damals noch fast unbekannten Südamerikaner, der so toll ausgesehen hat … – das wär's gewesen! Und was habe ich machen dürfen? Zehn Zeilen über die Eichhörnchen im Hofgarten, wie sie Beeren und Nüsse sammeln. Und davon ist dann noch die Hälfte weggestrichen worden, weil sie Platz für's Foto brauchten. Mein einziger Interviewpartner ist der Pächter vom CINEMA gewesen, den ich fragen sollte, wie viele Leute sich innerhalb einer Woche Pretty Woman angeguckt haben. Hältst du sowas vielleicht für 'ne Lebensaufgabe?«
Björn gab zu, daß diese Art von Berichterstattung keineswegs das sei, was man als ambitionierter Journalist gerne schreiben würde, zumal er solche Beiträge ohnehin immer überblättere, doch gerechterweise müsse Julia zugeben, daß der ZEITSPIEGEL nicht gerade zu den regelmäßig von der Weltpresse zitierten Blättern gehöre und deshalb auf spektakuläre Interviews verzichten müsse.
»Du hast ja recht. Mich wundert sowieso, daß immer noch so viele Leute die Zeitung
Weitere Kostenlose Bücher