Hotel Mama vorübergehend geschlossen
kaufen. Aber vielleicht lesen sie sie ja gar nicht. Die Marktfrau vom Fischstand wickelt immer die Heringe darin ein. – Ist noch Kaffee da? Nicht? Auch egal. Nein, du brauchst keinen mehr zu holen, jedenfalls nicht für mich, ich verzieh mich jetzt ins Bad.« An der Tür drehte sie sich noch mal um. »An deiner Stelle würde ich mir über den zukünftigen Beruf noch keine Gedanken machen; vielleicht ist er ja noch gar nicht erfunden.«
Derselbe Schauplatz drei Stunden später: Am immer noch gedeckten, jetzt aber schon reichlich ramponiert aussehenden Frühstückstisch hockte ein zwar mit Jeans, Sporthemd und zwei Turnschuhen korrekt bekleideter, jedoch noch keineswegs munterer Florian und piekte lustlos die Dosenchampignons aus seinen Rühreiern. Speck sei nicht mehr dagewesen, hatte Tinchen gesagt, überhaupt sei der Kühlschrank das reinste Krisengebiet.
Florian gegenüber saß Frau Antonie und trank Malventee, angereichert mit Süßstoff. Wegen der Kalorien. Essen wollte sie nichts, sie hatte bereits Mittag gegessen und würde auch gleich wieder gehen, um halb vier fing der zweite Teil von Sissy an. Sie war ja auch nur gekommen, um Professors auf Wiedersehen zu sagen, denn dazu hatte sie gestern keine Gelegenheit mehr gehabt. Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben, als sie erfuhr, daß die beiden bereits auf dem Weg nach Steinhausen waren.
»Du hast nichts versäumt, Mutti«, hatte Tinchen sie getröstet, »Gisela hatte eine Stinkwut im Bauch, weil Fabian gestern mit Florian so lange gepichelt hat, daß er vorhin noch eine gehörige Portion Restalkohol im Blut gehabt haben muß und sich nicht ans Steuer setzen wollte; sie wiederum fährt nur ungern Fabians Auto, was ich sogar verstehen kann, denn im Verhältnis zu diesem Schlachtschiff ist ihr kleiner Sportwagen nicht mehr als ein motorisiertes Nummernschild. Jedenfalls kam sie gar nicht mehr mit rein, sondern wartete mit zusammengekniffenen Lippen im Auto, bis Fabian sich von allen verabschiedet hatte. Was sie sagen wird, wenn sie merkt, daß sie im Hotel ihre Lesebrille liegengelassen hat, kann ich nur vermuten. Der Portier hat vorhin angerufen.«
Frau Antonie hatte nur »tz tz tz« gemacht und vor sich hingebrummelt, daß man die Frau Professor auch verstehen müsse. Es sei sicher nicht ganz einfach, sich mit einer künftigen Schwiegertochter abfinden zu müssen, die zwar sehr hübsch, liebenswürdig und offenbar auch gebildet, jedoch unübersehbar dunkelhäutig sei. »Oder wärst du einverstanden gewesen, wenn Tobias eine Farbige geheiratet hätte?«
Tinchen hatte zugeben müssen, daß sie damit gewisse Schwierigkeiten gehabt hätte. »Aber nicht wegen der Hautfarbe als solcher, sondern wegen späterer Kinder. Das werden zwangsläufig Mischlinge, die weder von der einen Seite noch von der anderen voll akzeptiert werden. Sie sind nicht schwarz, aber auch nicht weiß, gehören also nirgendwo richtig hin, und solange in Europa eine gewisse Fremdenfeindlichkeit fast an der Tagesordnung ist, werden Mischehen immer problematisch sein.«
»Dann ist es ja gut, daß der Rüdiger überwiegend in Amerika lebt«, hatte Frau Antonie gesagt und ihren Malventee geordert. »Nimm aber bitte zwei Beutel!« Darauf war sie ins Wohnzimmer marschiert, hatte mißbilligend die Unordnung zur Kenntnis genommen, mit der Schuhspitze einen herumliegenden Kindersocken demonstrativ an den untersten Zweig des Weihnachtsbaumes befördert, die leeren Weingläser gezählt – es waren sieben – und war schließlich im Wintergarten aufgetaucht. »Ach, hier wird noch gefrühstückt?«
»Nein, wir sitzen schon beim Abendessen«, hatte Florian gegrunzt, aber Frau Antonie hatte ihn gar nicht zur Kenntnis genommen. Vielmehr hatte sie sich gewundert, daß Clemens und seine Frau im Garten standen und rauchten. »Wollten der Professor und seine Familie nicht heute nach Hause fahren?«
»Richtig«, hatte Tinchen gesagt, in einer Hand die Glaskanne mit dem aufgekochten Unkraut, wie Florian die Kräutertees seiner Schwiegermutter zu bezeichnen pflegte, in der anderen das Stövchen, denn »wenn ich etwas hasse, dann lauwarme Getränke« lautete die ewige Klage von ihr. Sie hatte es seinerzeit sogar fertiggekriegt, der vierten Canasta-Dame Reutter, die solch ein nützliches Gerät unbegreiflicherweise nicht besaß, und – was nun absolut unverständlich war – sich auch keins zulegen wollte, ihr altes und längst ausgedientes Stövchen anzudrehen. Sechseckig und aus Porzellan mit
Weitere Kostenlose Bücher