Hotel Nirgendwo - Roman
seiner Jugend Partisan gewesen war. Aber er war zwölf, als die Partisanen in sein Dorf kamen und ihn einfach mitnahmen. Ich konnte nicht glauben, dass er wirklich Brücken zerstört hatte, und bin davon überzeugt, dass Oma das nur erfunden hat. Ich war nämlich zu dem Zeitpunkt zehn Jahre alt und wäre nicht einmal ansatzweise in der Lage zu einer solchen Tat gewesen. Ins Dorf meines anderen Großvaters, dem man die Kehle durchgeschnitten hatte, waren nicht die Partisanen, sondern die Leute vom Kroatischen Heimatschutz einmarschiert. Das ist der einzige Grund, warum die beiden in verfeindeten Lagern gelandet waren.
Mama war völlig am Ende und sagte, sie würde uns alle aus dem fünfzehnten Stock werfen, wenn wir nicht endlich anfingen, uns normal zu benehmen. Ich versuchte mir vorzustellen, wie das Fliegen sich wohl anfühlte. Noch am gleichen Morgen platzte ein Rohr im Badezimmer, und ein Teil der Wohnung stand plötzlich unter Wasser. Meine und Željkas Mama gingen an diesem Tag nicht zur Arbeit. Normalerweise arbeiteten sie immer sehr viel und bekamen dafür einen Niedriglohn. Jetzt hatten sie genug von allem und gingen einfach ins Café.
Eine Zeitlang lebten wir von Sozialhilfe, und dann fand Mama wieder eine neue Arbeit. Sie holte mich mit der guten Nachricht von der Schule ab und hatte seit langem wieder ein Lächeln im Gesicht. Ich wollte wissen, wer ihr diese Arbeit beschafft hatte. »Onkelchen Grgo«, sagte sie, »ich werde zweimal die Woche in seinem Büro arbeiten, werde für ihn putzen und alles in Ordnung halten, mein Lohn ist sogar höher als in der Astra-Schuhfabrik. Er hat gesagt, du sollst mal mitkommen und dir Schuhe aussuchen, die dir gefallen.« Ich war sehr aufgeregt, denn ich hatte mich schon daran gewöhnt, immer nur Sachen zu tragen, die mir gar nicht gefielen. Die einzige Ausnahme waren meine hellblauen Leggings, wir hatten sie im Ausverkauf gefunden.
Onkel Grgo war ein alter Kindheitsfreund meines Vaters. Er ist noch vor dem Krieg nach Zagreb gezogen. Grgo war sehr schlau, hatte einen Universitätsabschluss und finanzierte seiner jüngeren Schwester das Studium. Er war verheiratet und hatte zwei Söhne, er lebte mit seiner Familie in Vukovar, wurde dann aber geschieden und ging noch vor dem Krieg nach Zagreb, wo er Schuhgroßhändler wurde. Als ich noch klein war, waren wir einmal bei Onkel Grgo zu Besuch, und mir fiel bei dieser Gelegenheit seine grüne Ledertasche ins Auge. Mama sagt, ich hätte sie mir sofort über die Schulter geworfen und den ganzen Tag durch die Gegend getragen. Als es an der Zeit war, nach Hause zu gehen, hätte ich mich geweigert, die Tasche wieder zurückzugeben. Deshalb habe Onkel Grgo sie mir geschenkt. In diesem Moment seien er und ich sehr gute Freunde geworden.
Von allen Bekannten meines Vaters, die nach Zagreb gekommen waren, war er der einzige, der sich freute, als wir uns bei ihm meldeten. Alle anderen hatten irgendwie keine Zeit für uns. Auf dem Blumenplatz von Zagreb trafen wir manchmal auf Onkel Ivan, der immer so eigenartig die Wörter »Devisen, Devisen« vor sich hin knurrte. Ich hatte keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte. Manchmal wollte er uns auf einen Kaffee einladen, was Mama immer ablehnte, aber ich sagte irgendwann, ich würde eine Pizza nehmen, und die bestellte er mir dann auch. Als wir ihm ein anderes Mal wieder begegneten, wollte er Mama heiße Maroni kaufen, aber auch das lehnte sie ab. Das dritte und letzte Mal sah ich ihn, als er uns in unserer Wohnung in Novi Zagreb besuchte. Er hatte eine komische kleine Metallschachtel dabei. Mama war mehr als überrascht, ihn bei uns zu sehen. Er schaute vorbei, weil ihm jemand erzählt hatte, dass Mama in die Neu-Zagreber Wohnung eingebrochen war. Er wusste noch von einer anderen, die leerstand, und wollte sie ihr zeigen. Mama sah ihn einfach nur wortlos an, als habe ihr jemand einen Tritt in den Bauch verpasst. Großmama bekam das alles natürlich mit und schrie ungehalten: »Also hör mal, du hast doch deine eigene Frau, die kann ja mit dir in irgendwelche Wohnungen einbrechen, lass mir meine Schwiegertochter in Ruhe.« Mama begleitete ihn in den Flur, und als sie die Tür hinter ihm zuschlug, setzte sie sich sichtlich aufgewühlt an den Tisch. Ich hatte den Eindruck, dass sie zitterte.
In diesem Frühling lernte ich unser neues Viertel ganz gut kennen, denn ich begleitete Mama jeden Tag ins Geschäft. Sobald das Ende ihrer Arbeitszeit heranrückte, fing Mama an, noch eifriger
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