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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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die in Vukovar geblieben waren, militärische Dienstgrade zu verleihen, denn dann hatten sie später Anspruch auf staatliche Gehälter. Wir wollten wissen, was mit meinem Vater geschehen war und ob man auch ihn auszeichnen würde, aber niemand konnte uns eine Antwort geben, denn er war einfach nicht auffindbar, umgekommen war er aber auch nicht. Der Computer ordnete ihn schließlich den zivilen Verteidigern zu, und mit diesem Dokument schickte man uns unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Mir kam das ganz in Ordnung vor, aber Mama war unzufrieden und wiederholte den ganzen Weg über, dass Papa seine eigene Frau aus der umzingelten Stadt nicht herausschaffen wollte, und das nur, damit andere Leute nicht auf den Gedanken kamen, er habe flüchten und wie ein Feigling seine Stadt verlassen wollen, und jetzt, sagte Mama wütend, was hat er jetzt davon, jetzt ist er einer von den zivilen Verteidigern. Er wird zusammen mit den ganzen Großmütterchen, die einfach nur im Keller herumgesessen sind, in einer Liste geführt. Das war neu für mich, ich hatte keine Ahnung, dass die ganzen Omas ebenso Vukovars zivile Verteidigerinnen waren. Am nächsten Tag brachten wir das Papier zum Amt zurück. Mama sagte, sie würde den Status, den man Papa zugesprochen habe, in keinem Fall akzeptieren. Sie verlangte, dass ihr endlich jemand sagte, was Papa in Vukovar genau gemacht habe, denn sie selbst sei ja dabei gewesen, als er sich aus eigener Tasche ein Gewehr gekauft habe. »Er hat seinen eigenen Arsch beschützt und ist mit einer kleinen Hüfttasche durch die Gegend gelaufen.« Diese unverschämte Antwort gab ihr ein Mann in Tarnuniform. Später habe ich erfahren, dass dieser Mann der Vater meiner Freundin Lidija war. Er hatte bei Ausbruch des Krieges sofort die Stadt verlassen. Meine Mama fing an zu weinen und verlangte, dass man sie zu irgendeinem General vorließ.
    Später kam heraus, dass alle die ganze Zeit über sehr wohl gewusst hatten, dass mein Vater bis zum bitteren Ende in unserer Stadt geblieben war und dass der unfreundliche Mann in Tarnuniform sich rechtzeitig abgeseilt hatte.
    Auf den General warteten wir lange, als er dann endlich kam, war er überaus zuvorkommend und bot Mama gleich einen Kaffee an. Er entschuldigte sich und fragte uns, wie er uns behilflich sein könne. Mama erklärte ihm unsere Situation, und er gab uns auf der Stelle ein Dokument, auf dem vermerkt war, dass mein Vater der kroatischen Armee angehört hatte. »Brauchen Sie eine Wohnung?«, fragte er Mama freundlich. – »Nein, wir haben schon etwas, wo wir unterkommen können«, sagte sie, »wir haben nur die Bestätigung gebraucht.« Wir gingen nach draußen und waren sehr glücklich. Mein Vater war also nicht nur ein ziviler, sondern ein richtiger Verteidiger seiner Stadt. Das Problem war, dass wir dafür kein Geld bekamen. Das gab es nur, wenn einer nicht mehr lebte, wenn er umgekommen war, Papa aber war lediglich nicht auffindbar. Mama und ich gingen ein Eis essen.
     
    *
     
    Wenn man es recht besieht, haben mein Bruder und ich uns nie wirklich verstanden. Er zwang mich zum Beispiel Frankfurter Würstchen zu essen, obwohl ich sie hasste, und wenn er auf mich aufpassen musste, hatte ich mich alle zwei Minuten über die Gegensprechanlage zu melden, als Beweis, dass ich auch wirklich in der Nähe des Hauses blieb. Ein Spiel, das wir früher öfter spielten, hieß Die Grenze , und er würde mich dann fragen: »Welches Land willst du sein, Jugoslawien oder Deutschland? Vergiss aber nicht, dass Jugoslawien dein Heimatland ist und dass die Partisanen die Deutschen besiegt haben.« – »Jugoslawien«, sagte ich, »ich entscheide mich für Jugoslawien!« Das bedeutete jedoch, dass ich das Geld, welches unseren Einsatz darstellte, auf meiner Seite durch vier teilen musste und er auf seiner Seite nur durch eins, weil die Deutsche Mark mehr wert war als der Jugoslawische Dinar. Außerdem setzte sich mein Fuhrpark aus einem einzigen Lastwagen zusammen, den ich aus einem Kinderüberraschungsei hatte, sein Fuhrpark war hingegen natürlich mit batteriebetriebenen Autos ausgestattet, weil Deutschland in dieser Hinsicht wie in jeder anderen viel fortschrittlicher war. Im weiteren Verlauf entwickelte sich das Spiel immer sehr bald zu seinen Gunsten, und er pfändete mir das eine Fahrzeug, weil ich, wie er befand, beim Zoll nicht die richtigen Papiere vorweisen konnte. Am Ende blieben mir nur die Fußgänger, besser gesagt, die Barbiepuppen, die durften aber

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