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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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waren und in der prallen Mittagessenszeit die ersten würzig-scharfen Kuleni-Würste aßen. Die Dame, die fürs Fotokopieren zuständig war, fragte mich, wozu ich denn die kleinen Fotos bräuchte, und als ich es ihr erklärte, sagte sie, eine Freundin von ihr gehöre der Frauenhilfsorganisation »Bollwerk der Liebe« an und gab mir ihre Telefonnummer.
     
    Die Frauen vom Bollwerk suchten nach verschwundenen Menschen und versuchten internationale Hilfe für unser Land zu organisieren, sie wollten, dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt, sie halfen Kindern, die ohne Eltern geblieben waren, und Müttern. Manchmal schickten sie ganze Kindergruppen an die Küste, damit sie dort den Sommer verbrachten und sich ausruhten. Kinder wurden sogar im Ausland bei wohlhabenden Familien untergebracht, die etwas für kriegsbeschädigte Kinder tun wollten. Irgendwie so habe ich das Ganze verstanden. Ich beeilte mich mit der Telefonnummer nach Hause, wo ich Mama erzählte, dass es doch noch Hoffnung gab. Ich war stolz darauf, dass gerade ich diejenige war, die ihr das verkünden konnte.
     
    *
     
    Als wir ankamen, war es Frühherbst und betörend schönes Wetter. Es waren viele Menschen versammelt, überall war Chaos und Geschrei. An der Rezeption der ehemaligen Politikkaderschule, in der einst die kommunistische Elite des Landes unterrichtet und die jetzt in Hotel Zagorje umbenannt worden war, wurde lautstark gestritten und gestikuliert. Jeder wollte noch ein Zimmer im ersten Stock ergattern, mal waren kleine Kinder der Grund, mal der Ehemann, der bald nachkommen würde. Die Leute hatten vielfältige Gründe für ihr Geschrei. Wir standen am Rand.
    Nur ein paar Monate später erreichte uns das Gerichtsurteil. Innerhalb von acht Tagen hatten wir die Wohnung zu verlassen, ansonsten, hieß es, würden wir mit Gewalt umgesiedelt werden. Man bot uns eine Bleibe am Meer an, wir wollten aber unbedingt in der Nähe von Zagreb bleiben, damit die anderen uns nicht vergaßen, außerdem würde uns Papa, wenn er auftauchte, zuerst hier in der Gegend suchen. Wir bekamen mit, dass den Leuten aus Vukovar, die im Hotel Holiday untergebracht worden waren, eine angenehmere Bleibe namens Zagorje im nordkroatischen Hinterland angeboten worden war, und wir schlossen uns dieser Gruppe an. Damir habe ich schon im Holiday bemerkt. Er kam aus dem Lift herausgelaufen, sah sehr gut aus, und ich habe mich gleich in ihn verliebt.
     
    Wir standen an der Rezeption, wurden ständig von der Seite angerempelt und warteten darauf, zu erfahren, was mit uns passieren würde. Einige von den Leuten, die am lautesten waren, sich als Sprecher der kopflosen und traurigen Meute auserkoren hatten und längst Bewohner eines Zimmers im ersten Stock waren, fingen plötzlich zu schreien an: »Raus mit der Fallschirmtruppe! Raus mit der Fallschirmtruppe!« Das galt uns und einigen anderen Familien, die aus der Kaserne am Meer abgehauen waren. Dort hatten siebzig Menschen in einem Zimmer geschlafen. Einige von ihnen hatten vom Umzug der Holiday-Gruppe Wind bekommen und schlossen sich ihr in Bussen an, um hier ihr Glück zu probieren. Von irgendwoher drangen Frauenschluchzer zu mir, und ich brach sofort selbst lautstark in Tränen aus. Ich wusste, dass irgendjemand sich um uns kümmern würde, ich wollte nicht, dass man uns auf die Straße wirft, und ich wollte Damir wiedersehen. Plötzlich stand eine schöne Frau in Uniform vor uns, sie umarmte mich und sagte, dass uns niemand anrühren dürfe, es gebe genug Platz und Zimmer für alle, und niemand werde hier aussortiert. Ich war auf meine Darbietung sehr stolz. Die Wortführer grummelten leise vor sich hin, wir hatten ihnen die Chance auf einen besseren Status und ein angenehmeres Leben genommen, aber am Ende gaben sie nach. Es handelte sich immerhin um eine Frau mit Kindern, der man den Vorzug gab. Ich war sehr glücklich. Wir bekamen ein Zimmer im dritten Stock, Nummer 325, darin standen drei Betten. Ein Miniaturzimmer, sonnig und warm, mit einem eigenen Badezimmer. Mama setzte sich aufs Bett und fing an zu weinen. Mir war nicht klar, warum, wir hatten doch das bekommen, was wir wollten, auch wenn unsere Zukunft ungewiss war. Ich trat auf den Flur hinaus. Damir war gerade dabei, Zimmer Nummer 326 zu betreten, und sprach dann zu mir: »Hallo.« Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen.
     
    *
     
    Im dritten Stock wurden vorwiegend die Jungen und die Gesunden untergebracht, alle also, die problemlos Treppen steigen konnten. Zwei

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