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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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und wieder sogar ganz interessante Stücke, Sachen, die zwar abgenutzt waren, die einen mehr, die anderen weniger, aber im Grunde gefiel uns unser Vintage-Look. Unsere Mütter verstanden überhaupt nichts mehr, auch Fremde schüttelten die Köpfe, wenn wir an ihnen vorbeigingen, aber gerade das wollten wir auch erreichen. Ich plünderte regelrecht Omas Kleiderschrank und kam aus dem Staunen nicht heraus, was dort alles an Kostbarkeiten zu finden war. Am schönsten war ein violettes Kleid mit kariertem Kragen und einer hohen Taille. Mama wollte mich in diesem Aufzug nicht nach Zagreb mitnehmen, um neue Schuhe bei Onkel Grgo abzuholen. Ich antwortete ihr schnippisch, dass die mich überhaupt nicht interessierten und ich ohnehin lieber Doc Martens hätte. Ich hatte keine Ahnung, warum ich mich so aufführte. Es war jedenfalls eine Überraschung für alle, als ich am Montag das Klassenzimmer mit dunkelblauen Doc Martens betrat, deren Spitzen mit Metallklappen versehen waren. Meine Kroatischlehrerin sah mich verwundert an, und ich sagte, ich hätte vergessen, mich umzuziehen. Mit wurden solche Dinge verziehen, weil ich früher nie auffällig geworden war, zumindest nicht absichtlich. Kaum saß ich an meinem Platz, wurde mir ein Zettel von meinem Banknachbarn Antolić zugeschoben, auf dem stand: »Solche Schuhe hat auch mein Papa, er zieht sie an, wenn er in den Schweinestall geht.« – »Du hinterwäldlerischer Dorftrottel!«, sagte ich mit ziemlich lauter Stimme und dachte, dass diesem Teil der Welt einfach nicht mehr zu helfen war. Was sollte so ein arme Trottel schon wissen, wenn er nicht einmal von Nirvana gehört hatte! Ein Hinterwäldler. Das, wonach ich mich zu sehnen begann, war unendlich weit weg, es war hier und in der Zeit, in der ich lebte, nicht zu bekommen. In diesem elenden Kaff kam Igor meiner inneren Sehnsucht am nächsten. Sein einziger Fehler war, dass er in Zagorac geboren war, doch sein Vater kam aus Slawonien, und als wir das herausgefunden hatten, stand unserer Verliebtheit nichts mehr im Wege. Noch bevor wir ihn überhaupt zu Gesicht bekamen, wussten wir von ihm durch Marinas ältere Schwester. Er lief einem nie über den Weg, weil er schon eine weiterführende Schule mit Schwerpunkt auf Keramik besuchte, aber er war samstags immer im örtlichen Discoclub Oase . Das war im Grunde ein Kinderclub, denn keiner, der irgendwie den Dörfern entkommen konnte, ging dorthin, nur die Teenager kamen alle in Scharen hierher, weil sie sonst keine Zerstreuung hatten.
    Ich wusste, dass mir das Schlimmste erst bevorstand, denn ich musste meine Mutter irgendwie überreden, mich dort an einem Samstagabend hingehen zu lassen. Ich war fest entschlossen, ihr zu versprechen, ich würde danach vollkommen wunschlos sein und nie wieder irgendwohin wollen. So ungefähr lautete das Angebot, das ich ihr dann schließlich machte. Mir war durchaus klar, dass das nicht reichen würde, auch Marinas Eltern waren nicht begeistert, obwohl deren ältere Schwester das Terrain bereits vorbereitet hatte. Mein Bruder war damals in meinen Augen überhaupt nicht zu gebrauchen, er hatte keine Lust auszugehen und war weder an Zigaretten noch an Alkohol, noch an irgendetwas interessiert, das Leute seines Alters normalerweise machen. Wir hatten einen Plan. Bei diesem letzten Wunsch meines Lebens wollte ich Mama gegenüber behaupten, Marina hätte schon die Erlaubnis von ihrem Vater, und der würde uns um Mitternacht abholen kommen, obwohl die Disco sich ganz in der Nähe der alten Politik-Kaderschule befand. Marina trat zur gleichen Zeit wie ich bei ihrem Vater in Aktion und behauptete mit klimpernden Wimpern, dass Mama mir das Fortgehen erlaubt, aber dies mit der Bedingung verknüpft hätte, dass er uns um Mitternacht abholte. Er hat sich gleich einverstanden erklärt, und alles wäre nach Plan verlaufen, hätte nicht in diesem Moment das Telefon geläutet. Natürlich war am anderen Ende der Leitung meine Mutter, die instinktiv die Falle erkannt hatte, die ich ihr zum ersten, aber keineswegs zum letzten Mal gestellt hatte. Die beiden begriffen sofort, dass wir sie über den Tisch ziehen wollten, aber da wir noch ihre lieben kleinen Mädchen waren und in Anbetracht des mildernden Umstands, dass wir uns bis dahin nichts hatten zuschulden kommen lassen, verziehen sie uns unsere erste Lüge, und wir durften ausgehen.
     
    *
     
    Es war ein Frühlingsabend, der erste, an dem die Luft nicht nach dem Schweinestall roch, der sich gegenüber vom

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