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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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Hinausgehen bemerkte. Immer öfter musste ich mir von ihm anhören, ich sei dumm. Aber das störte mich kaum noch, denn ich konnte inzwischen gut kontern. Einmal habe ich ihn Satan genannt, das war die schlimmste Beschimpfung, die ich ihm je an den Kopf geworfen habe, aber das hatte ich nur deshalb gesagt, weil er nicht aufhören wollte, Mama aufs gemeinste zu kränken. Er sagte, dass sie eine völlig unbrauchbare Person sei, die es nicht schaffe, eine einfache Wohnung zu mieten, und dass andere Frauen, die gerade einmal einen Grundschulabschluss hätten, ihr haushoch überlegen seien und keine Probleme hätten, eine Wohnung und Arbeit für ihre Familie zu organisieren. Eines Nachts schlief er sogar auf den Sesseln in der Rezeption, und es kümmerte ihn kein bisschen, dass Mama ihn beschwor, er möge zurückkommen. Bei der Gelegenheit nannte ich ihn dann irgendwann Satan. Als ich klein war und er mich ärgerte, an den Haaren zog oder irgend so etwas machte, lag ich abends wütend im Bett und stellte mir vor, er würde schon mit sechzehn Jahren an einem Krückstock gehen und ich, ein ganzes Jahrzehnt jünger als er, würde lachend daneben stehen, ihn anschauen und ihm nicht helfen. Das sagte ich ihm bei dieser Gelegenheit auch noch, drehte mich um und ging weg.
    Jetzt hoffte ich, dass er den Schulabschluss machte und endlich zum Studieren wegging, in ein Studentenwohnheim oder so, ganz egal, wohin, Hauptsache, er ging und ließ uns endlich mit seinen Wutanfällen in Ruhe. Er schien nur noch auf Streit aus zu sein, wirklich helfen wollte er im Grunde gar nicht; die Beschwerdebriefe waren das einzige, was er noch zustande brachte. Kurz nachdem er den ersten abgeschickt hatte, bekam er sogar eine Antwort, von einem Führer der Streitkräfte, der ihn respektvoll ansprach und dem Verteidigungsministerium nahelegen wollte, unserer Familie eine Wohnung zu vermitteln. Aber danach passierte überhaupt nichts. Wir warteten trotzdem, weil wir das Gefühl hatten, der Brief würde wirklich etwas bedeuten. Nach diesem ersten schrieb mein Bruder noch einen zweiten Brief, und als ich den las, dachte ich, es würde uns bestimmt niemand mehr antworten.
     
    24. 08. 1995
     
    Verteidigungsministerium
    Abteilung Soziale Fürsorge
    Zu Händen von Oberhaupt mann Hr. K.Č.
     
    Sehr geehrter Herr Oberhauptmann,
     
    diesem Schreiben füge ich den Brief bei, der mich als Antwort auf mein Ersuchen an unseren Präsidenten FRANJO TUDJMAN erreicht hat.
    Ich habe nur noch eine Frage, können Sie als Oberhauptmann und Leiter der Abteilung Soziale Fürsorge meiner Familie und mir helfen, endlich diese existentiell wichtige Wohnungsfrage zu klären?
    Mein Vater wurde am 20. 11. 1991 im Krankenhaus Vukovar von Major Veselin Šljivančanin und der Jugoslawischen Volksarmee gefangen genommen. Über sein Schicksal, wie über das unzähliger anderer Männer, wissen wir nichts. Er gehörte der Kroatischen Armee an und hat Vukovar nicht verlassen, sondern ist dort, wie viele andere auch, bis zum letzten Tag geblieben. Ich weiß, wir sind kein Einzelfall, aber ich weiß auch, dass viele andere Fälle gelöst worden sind, und das bereits vor langer Zeit.
    Sie hatten nach dem Erhalt meines Briefes an den Präsidenten offenbar nicht daran gedacht, mich oder meine Mutter einzuladen und sich bei der Gelegenheit ausführlich mit unserem Fall zu beschäftigen und einen Weg zu finden, unsere existentiellen Probleme zu lösen?
    Herr Oberhauptmann, Sie haben mit mir und mit meiner Mutter gesprochen, als Sie das Zentrum Apel besuchten, Sie kennen uns demnach persönlich. Meine Mutter war, kurz nachdem Sie die Leitung der Abteilung Soziale Fürsorge übernommen haben, bei Ihnen vorstellig. In Ihrem Terminkalender wurden damals unsere Namen festgehalten. Sie haben uns versprochen, sich unserer Sache anzunehmen und sich dafür einzusetzen, dass die Vermisstenfälle von 1991 endlich gelöst werden.
    Das Büro des Präsidenten hat uns erneut an Sie verwiesen. Das Schreiben, dessen Kopie ich hier beilege, haben Sie bereits erhalten. Ich frage Sie, was ist nun zu tun?
    Mein Vater ist jetzt nicht hier, er kann mir nicht helfen. Sie hingegen können für Ihre Kinder da sein, Sie können sie lieben und sich um sie kümmern. Ich bitte Sie, denken Sie doch auch mal an meine Schwester, an meine Mutter und mich, an die vielen Familien, die wie wir unverschuldet in diese unglückliche Situation hineingeraten sind.
    Hochachtungsvoll,
     
    J. B.
    Sammelunterkunft HV , p.p.

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