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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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gingen wir zu den Toiletten, um zu beobachten, was noch alles los war und ob neue Leute gekommen waren. Wir mussten uns inzwischen den Weg durch das Gedränge bahnen, ich machte mich auf in Richtung Ausgang, und dort sah ich ihn in der Tür stehen.
    Er stand an die Wand gelehnt da, war allein und so schön, dass es wehtat. So anders. Langes gelocktes Haar bedeckte sein Gesicht, das ein wenig jungenhaft wirkte, nicht etwa, weil er noch nicht reif war, sondern wegen seiner hellen Haut, seiner blauen Augen und seiner kleinen feinen Nase. Auf jeden Fall sah er Kurt Cobain so ähnlich, wie das in der Gegend von Zagorje eben möglich war. »Hast du den gesehen, krasser Typ, Scheiße, sieht der gut aus, oder?«, sagte Marina. – »Jetzt werd mal bloß nicht ausfällig«, sagte ich, »ich habe ihn schon bemerkt, er ist wahnsinnig süß.« Dabei sah ich ihn die ganze Zeit an. Er rauchte nicht, er trank nicht, lehnte nur an der Wand, war noch immer allein, mit halb geschlossenen Augen, als leide er an der ganzen Welt. Man sah ihm an, dass er alles durchschaute, dass ihn niemand verstand und dass er nicht bereit war, seine Worte sinnlos zu verschwenden. Weder in unserem Hotel noch in unserer Schule gab es jemanden von ähnlichem Format. Wir waren fertig. Marina war in einer Phase, in der sie ihren Landstreicher-Look perfektionierte, und ich war noch ein bisschen Mamas Kind, deswegen dachte ich, er würde eher sie als mich bemerken, wenn er sich nicht ohnehin für die älteren Mädchen interessierte. Ich beschloss, ihm auf dem Rückweg von der Toilette trotzdem einen Blick zuzuwerfen. Auch Marina sah zu ihm hin. Ich dachte, so ist das eben, im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt. – »Guten Abend, liebe Gäste, und herzlich willkommen im Discoclub Oase !«, ertönte es plötzlich aus den Lautsprechern. Wir sahen auf die Uhr, es war fünfzehn Minuten vor Mitternacht. Die Aschenbrödel mussten nach Hause gehen.
    »Los, aufstehen, es gibt Frühstück! In zwanzig Minuten geht’s los.« Mama versuchte mich zu wecken. An diesem Morgen klang alles anders als sonst, und ihre Stimme schien einen Unterton zu haben, so als würde sie ein bisschen über mich spötteln, weil ich nicht wie sonst leicht aus den Federn kam. Sie dachte bestimmt an den Discoabend und wollte mir signalisieren, dass sie das lange Ausschlafen nach meinen nächtlichen Exkursionen nicht tolerieren würde, jetzt nicht und in der Zukunft auch nicht. Dabei war nicht das Ausgehen an sich das Problem, ich war ja schon um zwölf im Bett gewesen, sondern eher, dass ich so lange nicht einschlafen konnte. Eine ganze Weile noch hielt ich meine Augen fest geschlossen, in meinen Ohren klang die Musik nach, die neue Welt, von der ich einen Vorgeschmack bekommen hatte. Das Leben außerhalb des Hotels, das Leben hinter dem Zaun, das Leben in mir. Weit entfernt von Mama, weit entfernt von meinem Bruder. Ein Leben, in dem ich nicht das Schoßkind war. Nicht mehr die jüngere Schwester. Faul stand ich auf und berichtete Mama wortkarg über den Abend. »Schön, dass du dich amüsiert hast«, sagte sie etwas verhalten, und zwischen den Zeilen vernahm ich ganz deutlich: Ich freue mich, dass du gestern Spaß hattest, aber nicht dass du denkst, du kannst jetzt jeden Samstag ausgehen. Ich kannte meine Mutter und sie kannte mich, jedenfalls ging ich davon aus. »Du hast dein T-Shirt falsch herum an!«, schrie sie mir nach, als ich die Badezimmertür schloss. »Ich weiß«, sagte ich. Zum Frühstück ging ich nicht, stattdessen klopfte ich leise an Marinas Zimmertür. Da niemand reagierte, öffnete ich langsam die Tür und sah durch den kleinen Spalt in das Halbdunkel des Zimmers, in dem Marina und ihre Schwester noch in ihrem Bett schliefen. Sie hatten ein eigenes Zimmer und waren wirklich zu beneiden. Im Restaurant waren keine bekannten Gesichter, niemand von uns war da, nur mein Bruder, der gerade an einem Vierertisch in der Nähe der Terrasse sein Frühstück beendete. Im Hotel hatte er keine Clique, nur Jelenas eigenartiger Bruder war mit ihm befreundet. Ich glaube, gerade deshalb war er für die anderen besonders interessant, vor allem für die Mädchen. Aber so richtig habe ich das nie verstanden. Ich war das genaue Gegenteil von ihm, und wir machten einen großen Bogen umeinander, vor allem, wenn wir ausgingen. Im Zimmer stritten wir uns nur noch. Ich suchte mir einen Platz am anderen Ende des Restaurants aus und setzte mich alleine hin. Er nickte mir nur zu, als er mich beim

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