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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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mit seiner Schulter zur Seite und schloss endlich die Tür auf. Ich sprang nach draußen und schrie: »Du blöder Idiot!« Er lachte nur, und ich ging so schnell wie ich konnte in mein Zimmer zurück.
     
    *
     
    Slaven und Antonija waren die Enkelkinder eines Mannes aus Vukovar, den alle Zagi nannten, weil er nach dem Zweiten Weltkrieg nach Vukovar gezogen war, aber eigentlich stammte er aus einem der umliegenden Dörfer. Er litt genauso wie alle anderen, nur waren hier offenbar seine Erinnerungen an die Kindheit in der Heimat wieder in ihm lebendig geworden, was dazu führte, dass er immerzu fröhlich war. Er schien ein wenig dicker geworden zu sein, und seine weiche Aussprache von damals kehrte zurück. Seine Tochter, der Schwiegersohn und die Enkelkinder lebten im Zagreber Hotel Laguna und kamen ihn manchmal besuchen. Antonija war in meinem Alter, es war ihr nicht schwergefallen, mit uns gleich ins Gespräch zu kommen, als wir ihr an einem eine Nachmittags zum ersten Mal auf den Treppen des Restaurants begegneten. Sie trug weiße Chucks und abgetragene Hosen.
    Es war mir, als hätte ich beim Rausgehen aus Ivans Zimmer einen hochgewachsenen Jungen gesehen, der gerade dabei war, in die Sieben hineinzugehen und sich eine Zigarette anzuzünden. Das muss Antonijas älterer Bruder gewesen sein. Wenn Marina ihn nur zu Gesicht bekommen würde, ging mir durch den Kopf, sie wäre sicher nicht mehr wegen Igor wütend auf mich. Antonijas Bruder hatte eine Frisur wie die Ramones, sein Gesicht bestand bloß aus Wangenknochen und seine Fingerkuppen waren von Pflastern bedeckt, weil er Gitarre spielte. Natürlich hatte er den obligatorischen leidenden Gesichtsausdruck. Er sah wirklich gut aus, doch es stand mir fern, mich mit ihm bekannt zu machen oder so, denn ich wollte unbedingt verhindern, dass Marina wieder sauer auf mich wird. Antonija und er kamen an einem Freitagnachmittag, da hatten wir schon in Erfahrung gebracht, dass er keine Freundin hatte und bis Sonntagabend hierbleiben würde. Es war klar, dass Zagi und ihre Großmutter ihnen erlauben würden, morgen in die Oase zu gehen, und genauso klar war es, dass wir auch dort sein mussten. Allerdings war auch klar, dass ein solcher Wunsch das letzte war, womit meine Mutter sich nach Opas Begräbnis und allem, was vorgefallen war, beschäftigen wollte. Was also tun?
    Auf dem Weg ins Zimmer versuchte ich mir zu überlegen, wie ich am besten vorgehen sollte. Bei der Feuerwehrtreppe in Richtung Restaurant ging plötzlich Dickwanst Nataša an mir vorbei, sie hatte gerade gegessen und wischte sich über den Mund. »Hey, warst du im Restaurant, was gibt’s denn heute?«, fragte ich sie. Doch sie starrte mich nur an und hatte wieder mit ihrem komischen Tick zu kämpfen, ihre Lippen zuckten auf eine merkwürdige Art und Weise. Das passierte immer, wenn sie besonders nervös war, zum Beispiel, wenn sie in der Schule an die Tafel vorgehen musste, dabei erwartete sowieso niemand mehr groß etwas von ihr. Sie machte den Mund auf und zu, als würde sie gähnen oder als versuchte sie, ein Gewicht loszuwerden, das ihre Mundwinkel nach unten drückt. »Pasta mit Käse, ich muss zurück in mein Zimmer«, brachte sie in einem Atemzug heraus und verschwand um die Ecke.
    An der gleichen Stelle kreuzte jetzt Tićo auf, er versuchte gerade, mit den Händen seine Igelfrisur zu richten. Er hatte feines, aschblondes Haar, das er sich immer von seiner Mutter herrichten ließ. Tićo war die männliche Version von Nataša, vielleicht nur ein bisschen intelligenter als sie. Er war zwar schwer von Begriff, konnte aber ganz schön wütend werden. Sein Vater war in Vukovar umgekommen. Tićo war jetzt mit seiner Mutter allein, und sie behandelte ihn bereits wie einen Erwachsenen, dabei war er erst in der zweiten Klasse der Mittelschule, wo er zum Zimmermann ausgebildet wurde. Er war fast zwei Meter groß und hing ständig am Basketballkorb vor dem Hotel ab, er trank nicht und rauchte nicht. Seine Mutter war unendlich stolz auf ihn und nervte alle, weil sie ständig wiederholte, wie unendlich klug und attraktiv er war. Ich fragte mich, ob Dickwanst und er wohl etwas miteinander hatten, aber es schien mir dann doch unvorstellbar, jemand könnte mit Dickwanst gehen, und dann auch noch ausgerechnet er. Angewidert verwarf ich den Gedanken wieder.
     
    Igor. Seine langen Haare und sein feines blasses Gesicht. Seine Hände. Ich hatte keine Ahnung, wie seine Hände aussahen, aber es war schön, an sie zu denken.

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