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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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Frauen, »Ja, mach’s gut«, sagten sie, dann fiel eine Tür ins Schloss und kurz darauf die andere. Mein Bruder und ich schwiegen, wir wussten nicht, was wir sagen sollten, es erschien uns übertrieben, ihr unser Beileid auszusprechen, aber es war immerhin Mamas Vater. »Geht’s dir gut?«, fragte ich. – »Ihr schlaft noch gar nicht«, sagte sie. An diesem Tag hatten sich jede Menge Leute versammelt, fast die Hälfte meiner Klassenkameraden war gekommen. Die Trauer war nicht allzu groß, aber das Gefühl, irgendwie besonders zu sein, kam uns sehr gelegen. Alle küssten uns, gaben uns die Hände und sahen uns mitfühlend an. Oma hielt sich ganz wacker, weinte aber viel, ganz leise, und sah jedem in die Augen, der sich ihr näherte. Sie war eine sanfte alte Frau und liebte die Menschen, sie brauchte sie in einem ganz ursprünglichen Sinn. Mama sah düster drein und war auch sonst düster gestimmt. Sie schien in eine tiefe Dunkelheit gehüllt zu sein, die pechschwarz war, alles überdeckte und sie daran hinderte, irgendjemanden wahrzunehmen. Als das Begräbnisritual auf seinem Höhepunkt angelangt war, hörte man immer wieder die Trauerklage: »Ach, so gut bist du zu mir gewesen, warum hast du nicht gewartet, dass wir zusammen nach Hause gehen, warum hast du mich verlassen, was soll ich hier jetzt nur alleine machen …« Und so weiter, in einem endlosen Kreis.
    Auch ich weinte ein bisschen, aber die meiste Zeit beobachtete ich meine Mutter, die meiner Ansicht nach wie eine Frau aussah, die kurz vor dem totalen Zusammenbruch stand, sie starrte unablässig Oma an, als würde sie sich jeden Moment von ihr losreißen und für immer von hier verschwinden. Als alles zu Ende war und die Leute sich langsam verabschiedeten, kam Željkas Mama zu ihr, umarmte sie und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen weg. Ich hörte, wie sie etwas betroffen sagte, Oma hätte das nicht so oft wiederholen müssen, schließlich habe sie doch ihr ganzes Leben mit ihm verbracht.
     
    *
     
    In der Nacht nach dem Begräbnis übernachtete ich bei Oma, damit sie nicht allein war. Unsere Nachbarin Milka war auch da und blieb sehr lange. Ich war schon fast eingeschlafen, aber die beiden redeten und redeten, darüber, was die Trauer konkret mit sich bringt, wie lange man schwarze Kleidung tragen muss und wie oft man Radio hören und den Fernseher laufen lassen darf. Die Regeln hierfür unterschieden sich von Dorf zu Dorf. Ich traute mich nicht zu fragen, wie sich die dritte Generation, also ich, verhalten sollte. Ich lag in Großmamas Bett und dachte an Opas kariertes Hemd, das ihm zu klein gewesen war, es erinnerte mich an das Hemd, das Kurt Cobain immer getragen hatte. Kombiniert mit Omas ockerfarbener Weste, würde es mir bestimmt super stehen, dachte ich. Milka plädierte für zwei Jahre in Trauerkleidung und wegen der Weste kam mir das sehr entgegen, aber Oma behauptete, der Brauch verlange nur ein Jahr, worauf Milka sagte: »Du kannst natürlich machen, was du willst und auch nur sechs Monate Schwarz tragen, vor allem, wenn du dann wieder heiraten wolltest.« Oma senkte den Blick und sagte nichts mehr. Milka murmelte leise: »Ich geh dann mal jetzt nach Hause.« Jeder wusste, dass sie in Onkelchen Franjo verliebt war. Nachdem seine Frau Mara gestorben war, hatten die beiden nicht lange gewartet. All diese Dinge gingen mir noch eine Weile durch den Kopf. Limun und Ozrenka schrien etwas auf dem Flur, sie war schwanger, hatte keine Zähne und war nie zur Schule gegangen, Limun war alles, was sie hatte, er aber hatte vor, sie wegen einer Frau aus Zagorje zu verlassen.
    Am Samstag wollte ich wieder in die Oase . Oma lag auf Opas Bett, und ich hörte ihren schweren Atem. Opa lag unter der Erde, und dennoch oder gerade deshalb fühlte ich mich überaus lebendig: Bis dahin, also innerhalb einer Woche, musste ein Plan her.
    Nach der Schule ging ich ziellos in den Fluren der Politikschule umher, überlegte, ob ich an die Rezeption gehen und dort auf Marina warten sollte. Jelena und sie waren nicht in meiner Klasse, und ihr Unterricht dauerte länger. Außer Nataša ging aus der Politischen nur Ivan in meine Klasse, aber er war schon lange nicht mehr in der Schule aufgetaucht, außerdem war er dafür bekannt, dass er klaute, rauchte und sich ständig prügelte. Er war jedoch bei weitem nicht so dumm wie der kleine Mika, für den Ivan das große Vorbild war.
    Mika konnte man zu allem überreden, er scheute nicht einmal davor zurück, in den Zimmern

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