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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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Er ist ein höheres Wesen, anders als alle anderen hier. Das Zimmer war abgeschlossen, und als ich es betrat, sperrte ich die Tür nicht hinter mir ab. Ich legte mich auf das Bett und machte die Augen zu. Es war, als hätte eine fremde Hand meine eigene Hand genommen und sie in mein Höschen geführt. Ich wollte nicht darüber nachdenken, was ich da machte, ich zog nur eine Decke über mich und ließ mich fallen. Als ich wieder mit meinem Kopf unter der Decke hervorkroch, sah ich, dass mein Bruder im Zimmer war. Er saß am Fenster und hatte mir den Rücken zugedreht. »Es ist ein Telegramm von unserem Onkel gekommen«, sagte er kühl, »ein Beileidsschreiben wegen Opa.« Ich antwortete nicht, richtete nur das Bett wieder her und verließ das Zimmer. Als ich am Abend zurück nach Hause kam, lag unter meinem Kopfkissen eine Zeitschrift, die Super Teen hieß. Es war die Seite mit der Rubrik aufgeschlagen, in der Fragen von Jugendlichen beantwortet werden. Einer der Artikel war mit einem roten Filzstift markiert und fing mit den Worten an: Ich bin fünfzehn Jahre alt und habe keinen Freund, masturbiere aber jeden Tag und kann einfach nicht damit aufhören, obwohl das wirklich mein innigster Wunsch ist. Bin ich normal? Und wie kann ich mir helfen? Ich bin verzweifelt. Die Antwort hierauf wollte ich nicht lesen. Ich wollte auf der Stelle sterben.
     
    *
     
    Es war Samstagnachmittag, ich hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Mama war gerade dabei, das Zimmer mit dem sogenannten Handstaubsauger zu säubern. Das Gerät hatte keinen richtigen Namen. An Strom konnte man es nicht anschließen, und es war in jedem besseren Hotelzimmer zu finden. Nur ein bisschen praktischer als ein gewöhnlicher Kehrbesen, war das Gerät in jedem Fall tausendmal weniger effizient als ein normaler Staubsauger. Aber so etwas benutzten nicht einmal diejenigen hier, die viel Geld hatten, denn wenn mal samstags zwei bis drei Staubsauger an waren, dazu der eine oder andere Wasserkocher, sprangen auf unserem Stock sofort alle Sicherungen raus. Das Ding hatte ein Kästchen in sich, und zwar in der Größe einer Videokassette, die oben verschlossen war und unten eine Öffnung für den Besen hatte, der sich um die eigene Achse drehte und auf diese Weise die Krümel ins Kästchen beförderte, was natürlich mit Staub nicht funktionierte. Aber für unser kleines Zimmer war das Gerät ganz in Ordnung. Wir hatten ein rotes und Oma ein blaues. Im Vergleich zu einem richtigen Staubsauger hatte diese Erfindung den Vorteil, dass man sich mit der Person, die saubermachte, unterhalten konnte. Es entstand überhaupt kein Krach, nur Staub wirbelte umher. »Was ist, hast du etwas auf dem Herzen?«, fragte mich Mama, sie kniete gerade auf dem Boden und drehte ihren Kopf zu mir nach oben. Sie hielt ein paar Haare in den Fingern, die sie aufgeklaubt hatte, weil das Gerät sie nicht einsaugen wollte. Sie wusste es schon. Sie wusste immer schon alles im voraus, doch dieses Mal wollte ich auch, dass sie es weiß. Ich faltete meine wenigen Sachen zusammen, die alle auf ein Regalbrett passten, und schob meine CDs hin und her. Ich war stolze Besitzerin von ungefähr zehn Kassetten und drei CDs. Die Beatles-CD hatte ich in einem Buchladen in Zaprešić stibitzt, die Doors hatte mir die komische Freundin meines Bruders geschenkt, jedenfalls denke ich, dass es seine Freundin war, denn er hatte sich damals geschämt, es zuzugeben. Die dritte CD habe ich aus Australien bekommen, Omas Paten, die ausgewandert waren, haben sie für mich aufgenommen und Alles Liebe zum Geburtstag, liebe Ivana draufgeschrieben, es handelte sich um eine Art Tamburizza-Pop.
    »Ich dachte, ich könnte heute Abend ein bisschen ausgehen«, sagte ich schließlich mit leiser Stimme. – »Hast du letzten Samstag nicht gesagt, dass du nie wieder etwas von mir verlangen wirst, wenn ich dich das eine Mal weglasse? Außerdem haben wir Opa gerade erst unter die Erde gebracht, vor nicht einmal einer Woche.« Sie sagte genau das, was ich erwartet hatte. Sie schaute mich an und schien sich vorgenommen zu haben, mir auf jeden Fall zu widerstehen, aber sie wirkte müde, und genau da konnte ich sie kriegen. Ich schwieg und wartete. Es passierte nichts, auch sie schwieg. Ich schlich im Zimmer umher, mit diesem Blick, mit dem ich früher als Kind von Papa immer alles bekommen hatte, was ich wollte. Rollschuhe, Eis, die Erlaubnis, schwimmen zu gehen. »Du bist mein kleiner Hautbewohner!«, hatte er immer gesagt und mich dann

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