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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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Kroatisch sprach, weswegen sie auch niemand Tante nannte, aber die Bezeichnung passte auch nicht zu ihr, denn sie war nur acht Jahre älter als mein Bruder. Wenn die beiden einmal im Jahr aus Deutschland zu Besuch gekommen waren, war Papa immer übermütig und glücklich. Er zauberte den besten Schinken und die besten Kuleni auf den Tisch, und wenn mein Onkel ihm zum Beispiel ein Kompliment für seine Lederjacke machte, dann zog Papa sie auf der Stelle aus und schenkte sie seinem älteren Bruder. Mama nahm ihm das übel, aber Papa protestierte und sagte, dass mein Onkel auch alles für ihn tun würde. Großmama bestätigte das lächelnd und sagte: »Du hast nur einen Bruder, Frauen kannste haben, so viele wie du willst!« Dieser Satz sagt alles über ihre Beziehung zu meiner Mama. Im Hotelrestaurant, in dem Papa arbeitete, bekam mein Onkel immer den besten Platz. Er musste auch nie Trinkgeld zahlen, das übernahm mein Vater für ihn. Und wenn Onkels Frau in die Disco wollte, dann gingen eben alle in die Disco.
    Im Sommer bevor der Krieg ausbrach, waren sie bei uns. Ich war gerade im Begriff, ihrem Hund Babykleider anzuziehen, da hörte ich meinen Onkel sagen, die Uhr würde sogar unter Wasser und nachdem sie von einem Stein getroffen wurde weiterlaufen. Papa hörte ihm aufmerksam zu und nickte bestätigend. Und mein Onkel sagte: »Nimm sie, kannst sie behalten Brüderchen.« Ich ging hin, um zu sehen, was Papa bekommen hatte, und er starrte diese Uhr an wie ich immer unseren Kater Garfield anstarrte, der halb so groß war wie ich. Daraufhin nahm die Frau meines Onkels ihre Armbanduhr ab, es war das gleiche Modell, nur für Damen, und überreichte sie meiner Mutter. Dabei lächelte sie und nuschelte etwas. Mama versuchte das Geschenk abzulehnen und sagte laut »Nein, nein, bitte nicht«, und ich war sehr stolz auf meine Familie. Alle sind glücklich, dachte ich, alle, außer Pudel Gina, die in einem Babywagen lag und bitterlich heulte. Jetzt denke ich das überhaupt nicht mehr.
     
    Gegen halb fünf, als das zähe Warten unsere ganze Vorfreude zunichtegemacht hatte, kam mein Onkel durch die Hotelzimmertür und betrat die kleine Blase, die unsere ganze Welt war. Hochgewachsen, sonnengebräunt, so schön wie Papa stand er vor uns. »Hallo, hallo«, seine angenehme Männerstimme erfüllte unser Zimmer. Es war ein richtiger Mann, kein Junge, einer, der uns fehlte, einer, auf den wir warteten, den wir suchten, es war zwar nicht er direkt, aber fast, er war sein Blut, er war sein Bruder. Ich stand auf, um ihm einen Kuss zu geben, er musste sich nicht mehr herunterbeugen, denn ich war gewachsen und konnte ihm direkt in die Augen sehen. »Setz dich doch, willst du etwas trinken?« Mamas Stimme war vor lauter Aufregung wie ausgewechselt. – »Ja. Ja, ein Kaffee wäre gut«, sagte er zögerlich, während Mama versuchte, in unserem kleinen Zimmer zurechtzukommen. Sie manövrierte zwischen Kochplatte, Kredenz, Kaffeedose, Kaffeetassen und Neapolitanerschnitten. »Schön habt ihr’s hier, ihr habt’s ja schön warm, ist ja gar nicht feucht bei euch«, stellte er zufrieden fest, als hätten wir unser bisheriges Leben in einem Keller verbracht. »Ich war den ganzen Vormittag bei Tante«, sagte er und meinte damit Omas Schwester, »sie sind in Špansko untergebracht, oder wie auch immer das heißt, ist nicht schlecht dort, sie haben ein viel größeres Zimmer als ihr, aber das Badezimmer müssen sie sich mit hundert anderen teilen, alles halbtote Greise! Hier ist es schön, auch drum herum ist es ruhig, wie sagt man dazu, nicht so viel Verkehr …« – Mama fiel ihm ins Wort. »Wie geht es dir denn?«, fragte sie und beendete damit sein Gerede über die verschiedenen Vertriebenenunterkünfte. – »Mir? Gut, gut, mir geht’s gut«, sagte er. »Mein Kleiner geht in den Kindergarten, sie haben mir gesagt, dass er hyperaktiv ist, wird alles streng gehandhabt dort. Er ist aber wirklich ein kleiner Teufel, ich habe ihm jetzt zwei Schildkröten gekauft, wenn du das sehen könntest, wie sie in seinem Zimmer hin und her flitzen. Und meine Frau, nun ja, was soll ich sagen, sie hat ständig etwas zu meckern und wird jeden Tag dicker und dicker. Gut geht es ihr, wie soll es ihr auch gehen.« Am Anfang hat mein Bruder noch laut gelacht, dann ist er aber immer leiser geworden. Ich nicht, ich habe überhaupt nicht gelacht.
    Mein Onkel hatte irgendwelche Tüten mitgebracht und fing an, ein Knäuel eingetragener Socken nach dem anderen

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