Hotel Pastis
den Hörer ab, um unten in der Bar anzurufen. »Was möchten Sie?«
»Zwei Bier? Das wäre phantastisch.«
»Natürlich«, erwiderte Ernest, »für jede Hand eins.«
Boone kippte das erste Bier mit einem einzigen scheinbar ununterbrochenen Schluck hinunter und seufzte zufrieden. »Junge, das habe ich jetzt gebraucht. Ich bin mit dem Rad hergekommen?« Er grinste Ernest freundlich an. »Sie haben hier ein paar nette kleine Hügel.«
Da er für das zweite Bier etwas länger brauchte, teilte er Ernest seine ersten Eindrücke von Frankreich mit. Es sei ganz hübsch, meinte er, obwohl er nicht gerade viele Mädchen kennengelernt habe. Aber er finde es großartig, in der Metropole des Radsports zu sein, Radfahren sei nämlich seine Leidenschaft — oder, wie er es nannte, sein großer Tick. Radfahren und Kochen. Er könne sich nur noch nicht entscheiden, ob er lieber der nächste Greg Lemond oder der nächste Paul Bocuse werden wolle. Räder oder Essen.
Ernest konnte sich diesen freundlichen jungen Riesen nur schwer über einen Herd gebeugt oder mit seinen Riesenpranken Schalotten hackend vorstellen, doch Boone erklärte ihm, seine Kochleidenschaft habe er geerbt.
»Mein Daddy macht in Sachen Essen, Ernie. Essen ist in meinen Genen drin? Ich habe schon mit neun gekocht — nur Eier und aufgewärmte Bohnen und so Zeug — , und jetzt stehe ich auf Küchen. Beinahe wäre ich auf eine dieser Kochschulen in Paris gegangen. Sie wissen schon, diese Dinger, wo man einen Tritt in den Arsch bekommt, wenn man nicht mit einer Hand auf dem Rücken ein Tomaten coulis machen kann. Es gefällt nur, daß die Franzosen den Mist so ernst nehmen.«
»Nun, junger Boone«, meinte Ernest, »ich glaube, Sie sollten unsere Küchenchefin kennenlernen. Wie steht’s mit Ihrem Französisch?«
Boone kratzte sich am Kopf und zuckte die Achseln. »Ein bißchen mager? Mein Spanisch ist gut, aber ich vermute, damit kommt man hier nicht allzu weit. Ich arbeite daran.« Er trank sein Bier aus und sah auf die Uhr hinter der Rezeptionstheke. »Au wei, ich muß los. Ich habe um fünf Unterricht.«
»Ich werde Mr. Shaw sagen, daß Sie da waren.«
»Klar. War nett, mit Ihnen zu reden, Ernie. Bleiben Sie locker, ja?«
Ernest stand an der Tür und sah zu, wie er auf den Pedalen stehend davonfuhr. Was für ein einnehmendes Wesen, dachte er, und offensichtlich ganz unverdorben, überhaupt nicht das, was man sich so unter einem Milliardärssohn vorstellt. Wenn auch manchmal ein bißchen irritierend in seiner Redeweise. Bleiben Sie locker? Ernest schüttelte den Kopf und ging in sein Büro zurück.
Nicole und Simon hatten den Nachmittag im Bett verbracht und trafen mit geröteten Gesichtern und schlechtem Gewissen im Hotel ein — genau zur rechten Zeit, denn Françoise und Ernest standen mit dem Rücken zur Wand vor einer kleinen wütenden Frau. Simon erkannte sie, es war die Gattin des Voyeurs von nebenan. Sein Lächeln wurde mit einem frostigen Nicken erwidert. Madame hatte Grund zu der Annahme, daß sich einer der weiblichen Hotelgäste praktisch nackt in die Sonne gelegt hatte. Simons Bemühungen, ein entsetztes Gesicht zu machen und Madame davon zu überzeugen, daß es sich lediglich um einen fleischfarbenen Badeanzug handle, wurde vom Auftritt eines rotgesichtigen, empörten französischen Gastes unterbrochen. Er weigerte sich, auch nur einen Zentimeter zu weichen, bevor Ernest nicht etwas gegen diesen Voyeur unternahm, der seine Frau über die Mauer anstarrte. Incroyable!
Als die Protagonisten merkten, daß sie sich laut schreiend gegenüberstanden, herrschte einen Augenblick lang Schweigen. Dann wandten sie sich voneinander ab, um erneut ihre Beschimpfungen gegen das versammelte Management zu schleudern.
»Impudent voyeur!«
»Nudiste!«
»Insupportable!«
»Scandaleux!«
Simon bugsierte Madame sanft zur Tür und nickte dabei mit allem Ernst, den er aufbieten konnte, während Ernest den Ehemann in der gleichen Weise in die entgegengesetzte Richtung abschob. Nicole und Françoise verdrückten sich ins Büro, den Blick entschlossen geradeaus gerichtet. Als Simon sich ein paar Minuten später zu ihnen gesellte, erweckte er nicht gerade den Eindruck, daß er einen überzeugenden diplomatischen Sieg errungen hatte.
»Ich weiß wirklich nicht, warum ihr lacht«, meinte er. »Schließlich handelt es sich hier um eine Krise der Moral. Das hat jedenfalls Madame gesagt.«
»Was sollen wir tun?«
»Weiß der Himmel. Ich habe ihr angeboten, die
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