Hotel Pastis
rückenfreies Kileid und hochhackige Schuhe, die Madame Pons mit bewundernden Blicken bedacht hatte — und lachte. »Doch, die Franzosen mögen Intellektuelle, besonders die Blondinen mit den langen Beinen. Aber erzählen Sie mal, hat Radio Lubéron was Interessantes gebracht?«
Harris zog einen Notizblock aus seiner Tasche und blätterte darin. »Wirklich toll, aber das meiste davon kann man nicht in der Zeitung abdrucken. Haben Sie gewußt, daß in einem der Dörfer hier ein alter Knabe Mädchen dafür bezahlt, an Vorhängen hochzuklettern, während er zusieht und Wagner hört und sich mit Portwein vollaufen läßt? Er ist Engländer.«
»Das wundert mich nicht«, meinte Simon. »Ein Franzose würde nicht Portwein trinken.«
»Was haben wir denn noch...« Harris überflog seine Notizen. »Orgien in den Ruinen, Bestechungen im Immobiliengeschäft — darüber weiß sie eine Menge — , die Innenarchitekten-Mafia, gefälschte Antiquitäten, echte Arschlöcher wie unser Freund Mr. Crouch und seine Anhänger...« Harris machte eine Pause und schüttelte den Kopf. »Und ich habe gedacht, das Aufregendste hier wäre, zuzusehen, wie der Wein wächst. Von wegen. Alles da, vom Ehebruch bis zum Schweizer Bankkonto, alles, was das Herz begehrt. Ist kaum ein Unterschied zu Weybridge.«
»Na, das werde ich noch herausfinden«, sagte Simon. Hinter Harris bemerkte er Jean-Louis und Enrico aus Marseille, die ihm zulächelten.
»Ein herrlicher Abend«, meinte Jean-Louis. »Ich bin froh, daß sich die Sache mit der Handtasche aufgeklärt hat. Ein vierbeiniger Dieb, c’est drôle, non? «
»Ja, sehr komisch«, erwiderte Simon.
Enrico hob eine Hand ans Ohr, den Daumen und den kleinen Finger abgespreizt. »Mittagessen?«
»Es würde mich freuen, Enrico.«
» Ciao, Simon.«
Harris sah den beiden Männern nach. »Ein finsterer Bursche, der in dem schwarzen Anzug. Was ist er, Lokalpolitiker?«
»Arbeitet für eine Versicherung.«
»Ich glaube, an Ihrer Stelle würde ich die Prämien immer pünktlich bezahlen.«
Harris blickte zum Poolhouse hinunter, wo Angela ihre tänzerischen Fähigkeiten mit Philippe Murat unter Beweis stellte, und kam zu dem Schluß, daß seine Anwesenheit erforderlich war. Simon widmete sich wieder seinem Essen. Als Nicole ihn zwei Stunden später fand, war er mit einer halb gerauchten Zigarre zwischen den Fingern auf seinem Stuhl eingeschlafen.
19
E s war vier Uhr nachmittags, und die Sonne brannte immer noch mit unverminderter Kraft. Ernest war froh, wieder ins Haus gehen zu können, nachdem er sich auf der Terrasse die Diätvorschriften eines Vegetariers aus Düsseldorf hatte erklären lassen müssen. Er flüchtete sich in die Kühle seines Büros hinter der Rezeption. Das ganze Hotel hielt Siesta; das Geschirr vom Mittagessen war weggeräumt, die Tische für das Abendessen vorbereitet; am Pool schmorten ein paar träge Körper, die hin und wieder umgedreht wurden wie Hähnchen auf dem Grillspieß. Vor sechs Uhr würde sich nichts mehr abspielen. Ernest schickte Françoise zum Essen und machte es sich bequem, um die Korrespondenz durchzusehen. Erfreut nahm er den Stapel von Reservierungswünschen zur Kenntnis. Die Saison entwickelt sich nicht schlecht, dachte er.
Plötzlich hörte er das ächzende Geräusch der Eingangstür, dann Schritte und ein schweres Atmen. Ernest schob die Briefe beiseite und stand auf.
»Hallihallo!« rief eine Stimme. »Jemand zu Hause?«
Ernest hatte noch nie einen so strammen jungen Mann gesehen. Er war gut einsfünfundachtzig lang, das meiste davon Muskeln. Er trug eine schwarze Radlerhose und eine von Schweiß verfärbte ärmellose Weste, auf der eine Aufschrift prangte: TEXAS UNIVERSITY. FOUR OR FIVE OF THE HAPPIEST YEARS OF YOUR LIFE. Kurze blonde Haare, blaue Augen und ein breites, weißglänzendes Lachen, bei dem die vollkommenen und regelmäßigen Zähne zum Vorschein kamen, die man wohl nur in Amerika bekam.
»Guten Tag«, begrüßte ihn Ernest. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Wie geht’s?« Der junge Mann streckte ihm eine Hand entgegen. »Boone Parker? Ich suche Simon Shaw?« Wie viele Amerikaner hob er bei jedem Satzende die Stimme, so daß sich einfache Feststellungen in Fragen verwandelten.
»Boone, wie schön, Sie kennenzulernen. Wir haben Sie schon erwartet. Ich bin Ernest.« Der junge Mann nickte heftig. »Mr. Shaw müßte in ein paar Minuten hier sein. Ich glaube, Sie sollten inzwischen etwas zu trinken zu sich nehmen.« Er nahm
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