Hotel Pastis
Mauer höher zu ziehen, aber sie meinte, das würde ihnen das Licht wegnehmen.«
Françoise kicherte. »Kaufen Sie doch ihrem Mann eine kürzere Leiter.«
Simon schlug sich an die Stirn. »Natürlich. Wie schön, jemanden mit einem logisch denkenden französischen Verstand um sich zu haben.«
Er und Nicole gingen zu Ernest, der den Gatten mit der Geheimwaffe des Hoteliers — Champagner für zwei — besänftigt hatte und nun zufrieden summend kleine Korrekturen an den Tischen im Restaurant vornahm. Er berichtete ihnen von Boone Parkers Besuch — so ein freundlicher junger Mann, und so gut gebaut — und zog einen Brief aus seiner Jackentasche. »Das hier kam mit einfacher Hoteladresse, aber ich glaube, es ist für Sie.« Er reichte Simon den Brief. »Haben Sie einen Onkel, der Künstler ist? Wenn ja, dann haben Sie das bisher geschickt verheimlicht.«
Simon blickte auf die große, weit ausholende Handschrift auf dem Blatt Papier mit dem Briefkopf der Pensione San Marco:
Hallo, junger Bursche,
Die Nachricht von Deinem Etablissement hat mich hier in Venedig erreicht, wo die Muse und ich die göttlichsten Ansichten mit 50 000 japanischen Touristen teilen. Es ist ganz unmöglich zu malen. Ich sehne mich nach Licht und Raum, dem Geruch von Thymian und Lavendel, einem Schimmer honigfarbener Haut, dem Anblick der rauhen Felsen, die unendlich weit in das unerträgliche Blau des Himmels hinaufreichen. O Provence!
Ich habe noch genügend Geld für eine Eisenbahnfahrkarte nach Avignon und werde Euch die Ankunftszeit mitteilen, damit die entsprechenden Vorkehrungen getroffen werden können. Es besteht keinerlei Notwendigkeit für mich, gleich nach Norfolk zurückzukehren, so daß wir alle Zeit der "Welt haben, unsere herzliche Beziehung zu erneuern, die ich vor allen anderen schätze.
Bis bald, wie man in Frankreich sagt! Dein Dich liebender Onkel,
William
P.S. Ein paar hellsichtigere Kunstkritiker nennen mich inzwischen den »Goya von Norfolk«. Es wäre falsche Bescheidenheit meinerseits, mich deswegen mit ihnen zu streiten. Schaff die liegenden Nackten herbei, lieber Junge! Meine Pinsel sträuben sich schon vor Erwartung.
»Scheiße.« Simon reichte Nicole den Brief. »Ich glaube, ich habe dir noch nicht von ihm erzählt, oder?«
Nicole las den Brief und runzelte die Stirn. »Ist dieser Onkel ein berühmter Künstler?«
»Nicht so berühmt, wie er es gerne hätte. Ich sehe ihn ungefähr alle drei, vier Jahre einmal, und jedesmal ist er pleite und auf der Flucht vor irgendeiner Witwe, die er zu heiraten versprochen hat...« Simon machte eine Pause und blickte Ernest an. »Wir können unmöglich zulassen, daß er für längere Zeit ein Zimmer in Beschlag nimmt. Dann glaubt er womöglich, er wäre gestorben und im Himmel gelandet, und wir werden ihn nicht mehr los.«
»Dann, mein Lieber«, meinte Ernest, »ist es wohl besser, wir finden eine Witwe für ihn, nicht wahr? Macht Onkel William denn etwas her?«
Simon dachte an das letzte Mal, als er seinen Onkel getroffen hatte. Mit seinem alten Kordanzug, einem ausgemusterten Armeehemd und einem fadenscheinigen MCC-Schlips hatte er ausgesehen wie ein ungemachtes Bett und außerdem nach Whisky und Terpentin gestunken. »Nicht im konventionellen Sinne, Ern, nein. Aber die Frauen scheinen ihn zu mögen.«
»Ah. Dann dürfen wir ja hoffen. Cherchez la veuve, Nicole.« Ernest winkte einem Pärchen zu, das vom Pool heraufkam, um sich zum Abendessen umzuziehen. »Ich muß mich beeilen. Wir sind heute abend voll ausgebucht — le tout Lubéron hat von der lieben Madame Pons gehört.« Er zupfte ein letztes Mal an dem Tischtuch neben sich und machte sich auf den Weg in die Küche.
»Ein Mann«, meinte Nicole, »der sein métier gefunden hat. Er ist so glücklich. Alle mögen ihn, weißt du?«
»Es ist schon merkwürdig. Wir haben sozusagen die Rollen vertauscht. Es ist exakt das Gegenteil von dem, wie es in London war. Ich habe beinahe das Gefühl, ich muß mich mit ihm verabreden, wenn ich ihn sehen will. Weißt du, was er zu mir gesagt hat? >Wir müssen einmal zusammen zu Mittag essen und ein bißchen plaudern.< Frecher Kerl.« Simon lachte. »Genau das habe ich nämlich immer zu ihm gesagt.«
»Machst du dir deswegen Sorgen?«
Simon blickte ihr ins Gesicht. Der Versuch zu lächeln paßte nicht recht zu ihrem ernsten Blick. »Ach, ich werde mich schon daran gewöhnen.«
Nicole streckte die Hand aus, um den zerknitterten Kragen an seinem Hemd
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