Hotel Pastis
Bett ausgebreitet lagen, indem er sie mit seiner Liste verglich. Er war nackt, und die gebräunte Haut der Arme und Beine und des Gesichts stachen von seinem blassen Oberkörper ab. Aus dem Billigradio auf dem Nachttisch dröhnten die super-hits, unterbrochen von den kurzen, ekstatischen Kommentaren des Diskjockeys, der so tat, als ob er sich im Studio von Radio Vaucluse prächtig amüsierte. Es war schließlich der vierzehnte Juli, Le Quatorze, an dem sich jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in Frankreich auf einer soirée de fête vergnügten.
Jojo zündete sich eine Zigarette an und begann, sich der Liste nach anzukleiden. Als er das Halsband aus Packschnur über den Kopf streifte, schlug das kühle Metall des Schlüssels für das Vorhängeschloß gegen seine Brust. Dann zog er die schwarzen Shorts und das gelb-rot-blaue Trikot an, setzte die Sonnenbrille auf und steckte die Gummihandschuhe und die zusammengefaltete Baumwollmütze in die großen Hemdtaschen. Über die Radfahrerkleidung zog er noch eine alte Hose und ein abgetragenes weites Sweatshirt in dunkler Farbe, so daß er von Kopf bis Fuß eingehüllt war. Die schwarzen Radlerschuhe mit den dünnen Sohlen sahen etwas deplaziert aus, aber wer achtete bei einer soirée de fête schon auf die Schuhe?
Noch einmal ging er die Liste durch. Er durfte nichts übersehen, schon deshalb nicht, weil der General ihm das Kommando über die Operation übertragen hatte. Bon. Er setzte sich aufs Bett, rauchte und wartete, bis es Zeit war, die anderen unten auf dem Parkplatz des Bahnhofs von Cavaillon zu treffen. Er dachte daran, wie es sich wohl als unabhängiger, begüterter Mann auf Martinique lebte. Rum am Strand und dicke Eingeborenenmädchen. Cong, das würde ein Leben.
In stickigen, engen Wohnungen außerhalb von Cavaillon und in den Betonsilos der Vorstadt sahen auch die anderen auf ihre Uhren und beobachteten, wie die Zeit vorankroch. Auch sie überprüften ihre Listen und mußten sich beherrschen, nicht zur Flasche zu greifen, um die Nerven zu beruhigen. Wenn es erst einmal losging und der Adrenalinspiegel anstieg, würden sie viel zu beschäftigt sein, als daß sie ans Gefängnis dachten. Aber das Warten war das Schlimmste. Immer.
Kurz vor halb elf fuhr der Lieferwagen der Borels auf den Parkplatz. Jojo trat aus dem Schatten.
»Ça va?«
Borel der Altere nickte in dumpfem Schweigen. Jojo kletterte hinten in den Wagen. Alles Gärtnerzeug — Rasenmäher, elektrische Hackgeräte und Heckenscheren — war ausgeräumt worden, aber es roch immer noch nach Zweitaktgemisch und Dünger. Jojo setzte sich auf einen der Säcke mit Blumenerde, die die Borels an beiden Seiten plaziert hatten, damit man auf dem harten Metallboden etwas bequemer saß. Er sah auf die Uhr. Zündete sich eine Zigarette an.
Einer nach dem anderen trafen die anderen ein, Bachir, Jean, Claude und schließlich, eine Einkaufstüte in jeder Hand tragend, Fernand, der plastiqueur. Er reichte die Tüten in den Wagen hinauf und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, weil die anderen sie mit äußerster Vorsicht behandelten. »Ihr braucht nicht gleich einen Herzinfarkt zu kriegen. Es geht erst in die Luft, wenn ich es sage.«
Borel ließ den Motor an, betete zu Gott, daß die gendarmes heute keine Verkehrskontrollen machten, und bog nach rechts unter die Eisenbahnbrücke ab. Niemand sagte ein Wort.
Das Geschäft lief heute gut, zahlreiche Touristen und Familien aus der Umgebung waren gekommen, um im Chez Mathilde den Vierzehnten zu feiern. Normalerweise war Mathilde glücklich, wenn der Stapel Bons auf dem Spieß neben der Kasse immer höher wurde, und meistens überlegte sie dann, ob sie dieses Jahr vielleicht einmal richtig Ferien machen könnten, irgendwo im Ausland. Doch heute dachte sie unablässig an das, was ihr Mann ihr am Nachmittag erzählt hatte. Verrückt, hatte sie zu ihm gesagt. Jetzt, wo alles so gut lief mit ihrem netten kleinen Laden. Sie könnten das Restaurant eines Tages verkaufen und sich fernab von Küchengerüchen und schmutzigem Geschirr zur Ruhe setzen. Sie war zu entsetzt und zu wütend gewesen, um zu weinen, und als er ihr erklärt hatte, daß nichts schiefgehen könne, hatte sie ihn an das letzte Mal erinnert, wo angeblich auch nichts hatte schiefgehen können. Drei Jahre lang war sie allein gewesen und hatte ihm an Besuchstagen eine Pizza gebracht. Er hatte ihr versprochen, sich niemals wieder mit diesem Pack einzulassen. Er hatte es versprochen, und jetzt
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