Hotel Pastis
beendete Simon den Satz.
Murat schenkte sich von dem Wein ein. »Sie hat bei uns die Werbekampagne für nächstes Jahr in Auftrag gegeben, und das haben wir mit einem kleinen Drink gefeiert, und dann, nun ja...« Er zuckte die Achseln.
»Verdirb mir bloß nicht die Stimmung mit den Details. Was willst du essen?«
Während sie die Speisekarte studierten, schnappten sie Wortfetzen vom Tisch der Amerikaner auf. »...und raten Sie mal, als was es sich dann entpuppte? Als eine Hiatushernie. Ich nehme das Brathähnchen. Also ist er aus dem Krankenhaus raus und hat sie wegen des Kunstfehlers verklagt...«
Simon grinste Murat an. »Ich glaube, ich höre mir doch lieber Episoden aus deinem Liebesleben an als das.« Dabei winkte er dem Kellner, und sie bestellten.
»Wie lange bleibst du in Paris?« erkundigte sich Murat.
»Am Samstag ist eine Party mit garantiert hübschen Mädchen. Niemand aus der Werbebranche dabei. Du solltest kommen.« Er zwinkerte ihm zu und testete eine erst jüngst erworbene Redewendung. »Das treibt dir die Grillen aus, weißt du?«
»Ach, das klingt so romantisch«, entgegnete Simon. »Aber ich bin leider verhindert. Ich fahre morgen schon ganz früh los, will ein paar Tage in Saint-Tropez verbringen.«
Der Ober erschien mit den Kammuscheln, die in Knoblauchbutter brutzelten, der foie gras, der Simon nie widerstehen konnte, und einem Teller, auf dem sich noch warme, knusprige Baguettescheiben stapelten. Eine mit Staub bedeckte, offene Flasche roten Burgunders wurde ebenfalls schon auf den Tisch gestellt, damit der Wein atmen konnte. Simon zog sein Jackett aus und sah sich im Gastraum um. Inzwischen waren alle Tische besetzt, es herrschte eine lebhafte und lärmende Atmosphäre. Immer wieder wurde Gelächter laut; dies war ein Ort des Vergnügens. Diäthalten war streng verboten, und die Portionen fielen entsprechend reichlich aus. Niemand ging ins L’Ami Louis, um einsilbig in ein paar Salatblättern herumzustochern.
»Saint-Tropez?« Murat rümpfte ganz leicht die Nase. »Das ist doch am Ende. Wie die gesamte Küste. Außer man will mit einem Haufen Pariser Blödiane Golf spielen. Die BCBG hat das Ruder dort übernommen — Bon Chic Bon Genre -, man muß Strafe zahlen, wenn man kein Lacoste-Hemd trägt.«
»Du besitzt sicher keins. Wo würdest du denn hinfahren?«
Mit seiner letzten Kammuschel malte Murat ein Muster auf den Teller. »Warst du schon mal im Lubéron? Zwischen Avignon und Aix. Es ist zwar inzwischen ein bißchen chic dort geworden, vor allem im August, aber trotzdem ist es wunderschön — alte Dörfer, Berge, keine Menschenmassen, ein phantastisches Licht. Ich war im Juni eine Woche mit Nathalie dort unten. Très romantique, bis ihr Gatte aufgekreuzt ist.«
Der Kellner räumte den Tisch ab. Nein, Simon war noch nie im Lubéron gewesen. Wie hunderttausend andere auch war er immer direkt zur Côte d’Azur gefahren, hatte sich dort am Strand schmoren lassen und war auf dem kürzesten Weg wieder heimgefahren. Das Hinterland der Provence war für ihn ein unbekanntes Terrain, die Namen der Orte kannte er nur von den Autobahnausfahrten.
»Und wie kommt man dahin?«
»Du fährst bei Cavaillon von der Autobahn runter und weiter in Richtung Apt. Von da ist es ein Katzensprung, kaum zwanzig Minuten. Ich kann dir verraten, wo Nathalie und ich abgestiegen sind, ein kleines Nest, beaucoup de charme, eine nicht einsehbare Terrasse, wo ihr zwei sonnenbaden könnt...«
»Philippe, ich reise allein.«
»Ach ja? Dann sonnst du dich eben allein. Vielleicht hast du ja Glück.« Murat beugte sich vor. »Eines Morgens kommt das Zimmermädchen herein, um das Bett zu machen — eine dieser knusprigen kleinen siebzehnjährigen Provenzalinnen, mit olivfarbener Haut und riesigen dunklen Augen. Ihr Blick fällt auf den englischen milord. Er liegt tout nu auf der Terrasse. Sie kann ihm einfach nicht widerstehen. Voilà! Und ran an den Speck.«
Murats Schilderung eines beschaulichen und unkomplizierten Urlaubs wurde von der Ankunft des gebratenen Fasans unterbrochen, den sich die beiden teilten, neben einer Pyramide knuspriger, dünn geschnittener Pommes frites. Am Tisch der Amerikaner wurde Bestürzung laut angesichts der Größe des Hähnchens, das eine der Damen bestellt hatte. »Alles für moi ? Du lieber Gott!«
Murat schenkte den Rotwein ein und hob das Glas. »Bonnes vacances, mein Freund. Ich habe ernst gemeint, was ich über den Lubéron gesagt habe. Die Gegend ist etwas Besonderes. Du
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