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Hotel Pastis

Hotel Pastis

Titel: Hotel Pastis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mayle
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erschienen. Plötzlich fiel ihm ein, daß er den ganzen Nachmittag nicht ein einziges Mal an die Firma gedacht hatte; ja, er hatte nicht einmal Liz angerufen, um ihr zu sagen, daß er angekommen war. Schon jetzt tat Frankreich ihm gut. Er zahlte, überquerte den Boulevard Saint Germain und ging zum Taxistand.
    Das Taxi setzte ihn in der engen Rue du Vertbois ab, und einen Augenblick lang blieb er vor dem Lokal stehen. Gott sei Dank war es immer noch wie früher und nicht steril aufgemotzt worden. Er stieß die Tür auf und trat in die Wärme und das geschäftige Treiben eines der letzten großen Bistros von Paris.
    Die Einrichtung war frühes zwanzigstes Jahrhundert und schäbig, die abblätternde Farbe dunkelbraun wie ein Schmorbraten, die Bodenkacheln durchgetreten bis zum blanken Zement. Abgesehen von einer Fotografie des früheren patron, des graubärtigen Antoine, und ein oder zwei vom Alter schon blinden Spiegeln waren die Wände kahl; lediglich ein Garderobenregal lief oben die Wand entlang. Hier hatte sich seit mehr als einem halben Jahrhundert kaum etwas verändert, und Simon fühlte sich jedesmal, als betrete er das klapprige Eßzimmer eines alten Freundes.
    Murat hatte einen Tisch hinter dem betagten, mit Holz geheizten Ofen reserviert, und Simon lehnte sich zurück und wartete; dabei stellte er Mutmaßungen über die Leute an den anderen Tischen an. Es war die übliche interessante Mischung aus Ruhm, Geld und Macht — Filmschauspieler und Direktoren; Politiker, die hofften, erkannt zu werden; Staatsmänner, die inkognito zu bleiben versuchten; junge Männer aus reichen Pariser Familien; Schauspielerinnen mit ihren Bewunderern, ältliche Playboys und, wie fast immer, eine Gruppe bei ihrem ersten Besuch, die unsicher war, welche Schlüsse sie aus der verschlissenen Umgebung ziehen sollte.
    Da drängten zwei amerikanische Paare durch die Tür, die Frauen schon jetzt in Pelzmänteln und mit ergrautem Haar, die Männer noch in Sommerblazern. Simon sah das Erschrecken auf den Gesichtern der Frauen, als die mehrere tausend Dollar teuren Chinchillas beiläufig von einem Ober eingesammelt und auf das Garderobenregal hinter ihrem Tisch geworfen wurden. »Clayton«, sagte die eine zu ihrem Gatten, »bist du sicher, daß wir hier richtig sind?« Beruhigend klopfte der Mann auf den Stuhl, zum Zeichen, daß sie sich setzen sollte. »Es ist ein Bistro, mein Schatz. Was hast du denn erwartet? Daß ein Diener unseren Wagen einparkt?«
    Der für Simon zuständige Kellner kam mit einer Flasche Meursault, und als Simon das Bouquet des Weines einsog, mußte er an Spinnweben und dunkle Kellergewölbe denken. Der Wein war gut gekühlt, nicht zu kalt, damit der Geschmack sich entfalten konnte. Simon nahm einen Schluck und nickte. Der Kellner füllte das Glas »C’est pas terrible, eh?«
    Da ertönte von der Tür des Restaurants her ein Poltern, und Murat sauste herein, verspätet und völlig zerzaust. Er trug einen zerknitterten schwarzen Anzug und einen langen, pinkfarbenen Schal; als er Simon anlächelte, bildeten seine Zähne und die Brille einen hell glänzenden Kontrast zu seinem sonnengebräunten Gesicht, und mit dem schulterlangen Haar sah er aus wie eben erst den sechziger Jahren entstiegen. Wie er es schaffte, die Pariser Dependance zu leiten, dabei seine Bräune zu behalten und sein kompliziertes und aufreibendes Liebesleben zu führen, war Simon immer ein Rätsel geblieben. Sie hatten sich kennengelernt, als Simon die Aktienmehrheit von Murats Agentur erworben hatte, und die Geschäftsverbindung hatte sich zu einer Freundschaft gewandelt.
    »Philippe. Schön, dich zu sehen.«
    »Simon! Du bist zu früh dran. Nein? Ich komme zu spät? Merde. Die Sitzung wollte einfach kein Ende nehmen.«
    »Wie heißt sie?«
    Während sich Murat setzte und den pinkfarbenen Kaschmirschal bedächtig auszog, sah er Simon mit jenem unschuldigen und charmanten Lächeln ins Gesicht, das er gewiß allmorgendlich vor dem Spiegel übte.
    »Du hast eine schmutzige Phantasie, mein Freund. Aber ich kann mich an etwas erinnern, was du mir einmal geraten hast: Führe nie jemanden aufs Glatteis, der eistanzen kann.« Murat formulierte diesen Satz voller Genuß. Er freute sich über sein fließendes Englisch und schnappte für sein Leben gern Redewendungen auf. »Okay, ich verrate dir etwas. Es war die Joghurt-Kundschaft, erinnerst du dich noch? Schon ein etwas älteres Semester, und...«
    »...und du hast es ihr zum Wohl der Agentur besorgt«,

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