Hotel Pastis
gebaut haben. Brassière ist kein Ort für Kriminelle, außer diesem kleinen voleur in der Werkstatt.« Sie nippte an ihrem Kaffee. »Jedenfalls war da ein Mann aus Avignon, ein Bauunternehmer, der die gendarmerie für eine Handvoll poussière gekauft hat...«
»Poussière?«
»Staub. Nichts. Ich glaube, für weniger als eine Million Francs. Es ist schließlich eine große barraque, zwei Stockwerke — und en plus gibt es noch die Zellen im Keller. Bon. Er kauft also auch noch ein bißchen Land dahinter; er plant, Appartements mit einem Schwimmbecken zu bauen und natürlich mit diesem Ausblick.«
»Eine gute Idee. Wann soll es fertig sein?«
Nicole schüttelte den Kopf. »Nie. Es hat sein ganzes Geld verschlungen. So geht es immer bei den alten Häusern, die kleinen inconnus , an die man nicht denkt. Man reißt eine Wand ein, und plok! die Decke fällt herunter.« Sie nahm noch eine Zigarette aus der Schachtel und beugte sich zu dem Streichholz vor, das Simon ihr entgegenhielt. Irgendwie war ein weiterer Knopf ihrer Bluse aufgegangen.
»Merci!« Sie lehnte sich zurück und reckte den Kopf, um den Rauch in die Luft zu blasen. Simon ertappte sich dabei, wie er auf ihren schlanken, zarten Hals starrte. Während Nicole fortfuhr, versuchte er, sich mit einer Zigarre abzulenken. »Also leiht man sich noch einmal Geld, und dann noch mal. Und er braucht ein neues Dach. Und die piscine kostet doppelt soviel, weil man mit dem Lastwagen nicht hinkommt und der ganze Zement, jeder Stein, alles mit den Händen hingetragen werden muß. Bref, er hat kein Geld mehr.« Sie fuhr sich mit einem Finger über die Kehle. »Er geht bankrott. Das passiert oft hier — die Leute sind zu optimistisch, und sie glauben dem Maurer, wenn er ihnen einen Preis nennt. Und wenn die Arbeiten erst einmal begonnen haben...« Nicole machte mit zwei Fingern Kletterbewegungen in der Luft und zuckte die Achseln.
»In England ist es genauso«, meinte Simon. Er dachte an die Rechnungen für das Haus in Kensington, Rechnungen, die ihm das Wasser in die Augen getrieben hatten. »Und die Innenarchitekten sind noch schlimmer.«
Nicole lachte. »Als ich in London war, hatte ich einen kleinen Garten. Er war nicht größer als ein Bett. Ich wollte Gras — du weißt schon, la pelouse anglaise — , sehe also im Lexikon nach und finde das Wort >turf<. Bon. Dann gehe ich in einen kleinen Laden in Chelsea, der voller Männer ist, und verlange sechs Meter turf, und sie sehen mich an, als wäre ich eine Verrückte.«
»Warum?«
»Ich befand mich in einem Wettbüro für Pferderennen.« Sie lachte erneut und schnitt eine Grimasse über ihre Unwissenheit. Eine der Freuden im Leben besteht darin, dachte Simon, daß die Frauen immer hübscher und unterhaltsamer werden, je länger das Essen dauert.
Nicole setzte ihn in Cavaillon ab. In seinem Leihwagen fuhr er dann langsam nach Brassière zurück, holte seine Taschen ab und fuhr wieder zum Hotel. Dort spazierte er über das Grundstück und schob seinen Pflichtanruf in London erneut auf. Er war zwei Tage unerreichbar gewesen, und er hatte jede Sekunde genossen. Als er in sein Häuschen zurückkehrte, blickte er auf das Telefon, dieses Plastik-Gebilde, das lauernd und vorwurfsvoll dastand. Er nahm den Hörer ab und drückte auf die Tasten, die ihn wieder mit der Wirklichkeit verbinden würden.
»Wo sind Sie?« Liz hörte sich an wie eine besorgte Mutter. »Wir haben die ganze Zeit im Byblos angerufen, dann haben wir es bei Mr. Murat in Paris versucht, aber...«
»Was hat er gesagt?«
»Ach, er war unmöglich. Er sagte, Sie hätten sich mit einem Mädchen aus dem Crazy Horse aus dem Staub gemacht. Anscheinend fand er das sehr witzig. Ist alles in Ordnung?«
»Mir geht’s gut. Ich habe nur unterwegs meine Meinung geändert, und dann hatte ich Pech mit dem Wagen — nichts Ernstes, ich habe das schon geregelt. Jedenfalls bleibe ich hier in Gordes, bis er repariert ist.«
Als er Liz die Telefonnummer des Hotels gab, hörte er, wie sie im Büro mit jemandem sprach.
»Liz?«
»Eine Minute. Ernest möchte mit Ihnen sprechen. Aber bleiben Sie noch dran. Ich habe noch eine dringende Mitteilung von Mr. Ziegler für Sie.«
»Hallo, hallo, wo immer Sie auch sein mögen«, ertönte Ernests Stimme. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was für eine Aufregung es hier gegeben hat — alle haben rotiert, Mann über Bord, Liz ist über Nacht ganz grau geworden, wir suchen ihn hier, wir suchen ihn dort...«
»Aber bin doch erst
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