Hotel Pastis
Von ein oder zwei Ausnahmen abgesehen, langweilten Simon die Menschen, mit denen er den größten Teil seines Lebens verbrachte. Einige von diesen Konzerntyrannen, die ihren Werbeetat wie Angriffswaffen benutzten, verachtete er sogar regelrecht. Gut, sie bezahlten ihn, aber allmählich hatte er auch dafür nur noch Verachtung übrig. War er etwa schwach und müde, oder wurde er nur erwachsen?
Als er auf der Terrasse mit der fünfzehn Kilometer weiten Sicht zu Abend aß, war er allein, und der Gedanke, daß Ziegler jetzt gerade auf dem Weg zum JFK-Flughafen im Verkehr feststeckte, erfüllte ihn mit einer gewissen Freude. Mit der Concorde nach London, dem Mann das Händchen halten, mit der Concorde zurück nach New York. Wieder ein heldenhafter Sieg für das Agentur-Kunden-Verhältnis, wieder eine Niederlage für die Verdauung. Simon nahm seine Zigarre und schlenderte zu seiner Unterkunft zurück. Die Luft war noch warm, der Himmel klar und mit Sternen übersät, und aus den Büschen drang das hartnäckige schnarrende Zirpen der cigales. Sein letzter Gedanke vor dem Einschlafen war, daß er sich auf morgen freute.
Obwohl die Tage noch lang waren, gingen sie viel zu schnell vorüber. Simon streifte durch die Dörfer, fuhr hinauf zu dem kahlen weißen Kamm des Mont Ventoux, spazierte durch die Ruinen des Schlosses des Marquis de Sade in Lacoste, hing in Cafés herum. Jeden Abend, wenn er ins Hotel zurückkam, erwarteten ihn Botschaften aus London, Botschaften, die ihm merkwürdig unwirklich vorkamen, wenn er sie barfuß auf der Terrasse sitzend durchsah. Der Kontrast zwischen dieser friedlichen Umgebung und den Berichten über banale Ereignisse in der Agentur, die zu Krisen hochstilisiert wurden, beschäftigte ihn immer mehr. Leben versus Geschäft.
Schließlich war es Zeit, an die Rückfahrt zu denken. Duclos müßte den Porsche inzwischen repariert haben, obwohl es seltsam war, daß er noch nicht angerufen hatte. Simon beschloß, am nächsten Morgen nach Brassière zu fahren und vielleicht mit dem herrlich braunen Brustansatz zu Mittag zu essen, sobald er sein Auto abgeholt hatte. Er fand die Nummer, die Nicole auf ein Streichholzheftchen geschrieben hatte.
»Nicole? Hier spricht Simon Shaw.«
»Ah, der verschwundene Engländer. Wo bist du gewesen?«
»Entschuldige, bitte. Ich wollte anrufen, aber...«
Nicole lachte. »Vielleicht hast du die provenzalische Krankheit — man macht alles morgen.«
»Ich habe mir gedacht, ich könnte dich morgen zum Mittagessen einladen. Der Wagen ist jetzt fast eine Woche in der Werkstatt. Er müßte mittlerweile fertig sein.«
»Eine Woche ist hier gar nichts, Simon. Aber zum Mittagessen, ja, volontiers.«
Sie verabredeten sich im Café, und Simon verbrachte eine angenehme halbe Stunde damit, im Gault-Millau-Restaurantführer zu blättern und ein geeignetes Restaurant herauszusuchen. Er hätte Nicole eigentlich früher anrufen sollen, aber vielleicht mußte er erst aufhören, immer an London zu denken. Wieder einmal ertappte er sich dabei, daß er die Achseln zuckte, und lächelte.
Als er am nächsten Morgen nach Brassière kam, fand er Duclos in derselben Lage vor wie beim ersten Mal: unter einem Wagen, der verdächtig danach aussah, als wäre er auch derselbe. Simon sagte guten Morgen zu den ölverschmierten Stiefeln, und der Körper glitt auf dem Wägelchen hervor.
»Ah, monsieur. C’est vous.«
Duclos hatte gute Nachrichten. Die fehlenden Ersatzteile würden nächste Woche eintreffen — certain, garanti, pas de problème. Er hatte anrufen wollen, aber...
In London wäre Simon wütend geworden, aber hier schien ihm das alles nichts auszumachen. Es war ein herrlicher Tag, er war mit einer schönen Frau zum Mittagessen verabredet, und außerdem konnte er Ernest herunterschicken, sobald der Wagen fertig war. Er war selbst überrascht über seine gleichmütige Haltung und daß er sowohl geistig als auch physisch nur mit den Schultern zucken konnte. Er bedankte sich bei Duclos und ging hinauf zum Café.
Die Sonne teilte die Straße, die vom Dorfplatz wegführte, in zwei tunnelartige Hälften; die eine war in blendendes Licht getaucht, die andere lag in tiefem Schatten. Es zog Simon erneut zur alten gendarmerie. Er stieg die Stufen hinauf. Das zweite Stockwerk sah noch größer aus als das Erdgeschoß. Es war ein riesiger aufgeräumter Saal, der offensichtlich auf das nächste Baustadium wartete. Wegen der höheren Lage bot sich hier sogar eine noch bessere Aussicht
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