Hotel Pastis
Restaurant, das Simon ausgesucht hatte, erfreute sich noch der Kundschaft jenes kleinen, offensichtlich rezessionsbeständigen Kerns von Londonern, die das Abendessen als Zuschauersport betreiben. Sechs Monate lang, vielleicht sogar ein Jahr, kämpfen sie um die Tische, halten sich den Oberkellner warm und winken sich gegenseitig über ein kaum zur Kenntnis genommenes Essen zu. Das Restaurant wirkt wahnsinnig modern. Der Besitzer träumt von einem frühzeitigen Ruhestand in der Toskana oder auf Ischia, während die Kellner mit zunehmender Ungezwungenheit ihre Pfeffermühlen, ihren Parmesankäse und ihr Olivenöl — »Extra vergine, signorina!« — kredenzen. Und dann, ganz plötzlich, bleibt dieser Kern fern und wird durch nüchtern denkende Pärchen aus den Londoner Vororten ersetzt, die bereit sind, den Lärm und die gehobenen Preise hinzunehmen, weil sie gehört haben, daß dies der neue Tempel der Schickeria ist, garniert mit weißen Trüffeln, in der Sonne getrockneten Tomaten und ein oder zwei unbedeutenden Mitgliedern der Medienaristokratie.
Simon kannte Gino, den Geschäftsführer, seit der Zeit, da sie beide noch zu kämpfen hatten. Inzwischen waren viele Jahre vergangen — und viele Restaurants. Er begrüßte Nicole und Simon mit einem breiten Lächeln, führte sie zu einem Ecktisch und legte Nicole mit offensichtlichem Vergnügen die Serviette auf den Schoß.
»Benimm dich anständig, Gino.«
»He«, strahlte Gino. »Das ist doch nur natürlich. Ich bin Italiener. Signorina, was wollen Sie trinken?«
Nicole sah Simon an. »Ich weiß nicht. Vielleicht einen Weißwein?«
Gino winkte fingerschnippend einen Kellner herbei. »Eine Flasche Pino Grigio für die Signorina.« Dann gab er jedem eine Speisekarte, küßte sich die Fingerspitzen und trottete in den vorderen Teil des Lokals davon, um mit einem neuerlichen Begrüßungslächeln eine Gruppe junger Leute in schwarzer Kleidung und mit Sonnenbrillen in Empfang zu nehmen.
»So.« Nicole sah sich in dem gutbesetzten Raum um, der mit Spiegeln und rosa und schwarzem Marmor ausgestattet war. »Hier ißt also die Schickeria von London. Bist du öfter hier?«
»Nein, eigentlich nicht. Normalerweise bin ich abends mit Kunden zusammen, und die bevorzugen die formelleren Lokalitäten — das Gavroche oder das Connaught. Hier würden sie sich nicht wichtig genug fühlen.« Er zuckte die Achseln. »Sie gehören nicht gerade zu den unterhaltsamsten Menschen auf der Welt, jedenfalls die meisten nicht.« Er probierte den Wein und nickte dem Kellner zu. »Aber im Moment bin ich auch nicht besser. Seit Monaten habe ich kein Buch mehr zu Ende gelesen, bin nicht mehr im Kino gewesen; wenn ich nicht in der Agentur bin, sitze ich im Flugzeug...« Er unterbrach sich abrupt und lächelte. »Entschuldige. Das ist ausgesprochen langweilig. Was möchtest du essen?«
Sie sahen sich die Speisekarte an, ohne zu merken, daß sie der Gegenstand ausgiebiger Spekulationen an einem Tisch auf der anderen Seite des Restaurants waren, wo Freunde von Caroline Nicole aufmerksam musterten.
»Wie ich sehe, scheint Simon die Scheidung überwunden zu haben.«
»Wer ist das? Eine von seinen Kundinnen?«
»Mach dich nicht lächerlich, Rupert. Kundinnen ziehen sich nicht so an. Ich gehe mal zur Toilette.«
Die Frau stand auf und ging im Zickzackkurs zwischen den Tischen hindurch, wobei sie vorgab, in ihrer Handtasche nach etwas zu suchen, bis sie nah genug herangekommen war, um über die beiden herzufallen.
»Simon, mein Süßer! Was für eine nette Überraschung. Wie schön, dich zu sehen!«
Simon blickte von der Speisekarte auf, erhob sich und warf pflichtbewußt drei Zentimeter von der dargebotenen Wange Küsse in die Luft. »Hallo, Sophie. Wie geht es dir?«
»Gut, mein Lieber.« Sie sah an Simon vorbei zu Nicole. »Wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen.« Sie machte keinerlei Anstalten, weiterzugehen.
Simon gab nach, konnte sich allerdings nur ein Minimum an Höflichkeit abringen. »Nicole, das ist Sophie Lawson.« Die beiden Frauen nickten sich mit einem aufgesetzten Lächeln zu. »Nicole...?«
»Bouvier«, ergänzte Nicole. »Guten Tag.«
»Was für ein reizender Akzent. Aber ich will euch nicht weiter stören. Ruf doch mal an, Simon, dann können wir zusammen zu Abend essen. Man sieht dich ja gar nicht mehr in letzter Zeit. Wo hältst du dich denn versteckt?«
»Hast du es schon einmal im Büro versucht?«
»Ah ja, das Büro.« Mit einem kurzen Lächeln und einem
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