Hotel Transylvania
können. Wünsche, Gelehrsamkeit, Hoffnung – all das verblasst angesichts der Zeit. Und dennoch gehen wir damit so verschwenderisch um, dass wir davon große Mengen damit verbringen, andere auf unsere Kosten zu erheitern.«
Le Marquis Chenu-Tourelle unterbrach ihre Gedanken. »Wohl wahr, Mademoiselle. Ich habe schon oft festgestellt, dass Langeweile das Schicksal eines überragenden Menschen ist.«
Aus ihren Gedanken gerissen sah Madelaine zum Marquis, und nun lag offenkundig echter Verdruss auf ihrer Miene. »Verzeihung?«
Le Marquis sah dies als Ermunterung, seine Überlegungen weiter auszuführen, und fuhr mit samtweicher Stimme fort: »So ist der Lauf der Welt, Mademoiselle. Freuden, Zerstreuungen sind schwer errungene Güter. Wie viele Male bin ich gezwungen gewesen, zum Gefallen meiner Freunde Einladungen anzunehmen, da ich doch viel lieber privatere Vergnügen gesucht hätte.« Er lächelte vorsichtig und hoffte, dass er nichts allzu Schockierendes gesagt habe.
Madelaine wirkte sicher aufgeregt, aber nicht in der Weise, die Chenu-Tourelle befürchtet hatte. »Ach, Ihr seid doch alle gleich! Langeweile! Langeweile!« Sie presste die Fäuste in ihrem Schoß aneinander. »Es ist nicht das Vergnügen, das kurz währt, Marquis, es ist das Leben. Ich bin neunzehn Jahre alt, und bis auf wenige Augenblicke ist mein Leben vergeudet gewesen. Was wird erst in zehn Jahren sein?«
Zwar war der Satz rhetorisch gemeint, doch Chenu-Tourelle warf ein: »Ich hoffe, ich werde dabei etwas zu sagen haben, Mademoiselle.«
»In zehn Jahren«, fuhr Madelaine unerbittlich fort, »werde ich eine Gattin sein mit Kindern und leeren hohlen Tagen ...«
»Nicht, so meine ich, wenn Eure Kinder wie andere Kinder sind.« Chenu-Tourelle schmunzelte nachsichtig, als er wieder nach ihrer Hand fasste. »Kinder, die Hingabe Eures Gatten, die Tröstungen der Religion – ist das denn so schlimm?«
»Ja!« Madelaine missachtete den warnenden Blick Cassandres. »Da sind Bildung und Reisen und Entdeckungen. Wenn ich eine echte Berufung hätte, wäre ich bei den Schwestern von Sainte Ursule, damit ich lernen könnte. Vielleicht könnte ich reisen und andere Orte sehen. Aber ich habe keine Berufung, und mein Vater ist kein Diplomat.« Einen Augenblick lang dachte sie nach. »Da gab es ein Mädchen, sie hieß Ranegonde Chamlysse, und sie ging mit mir zur Schule. Ihr Vater ist le Comte de Etenduni. Sie hat schon an so vielen Orten gelebt – in der Türkei, in Rom, in Stockholm. Sie war sogar schon einmal in Russland, und dieses Land fand sie sehr eigenartig. Als sie fortging, reiste sie mit ihrem Vater nach Indien. Die Schwestern sagten, dass es ein übel Ding sei, sie so weit von ihrem Heimatland und der Geborgenheit ihrer Familie zu bringen, aber ach, ich wäre auf der Stelle mitgegangen, und ich hätte jeden umgebracht, der sich mir in den Weg gestellt hätte.« Mit blitzenden Augen forderte sie Chenu-Tourelle zum Widerspruch auf.
Chenu-Tourelle missdeutete die Gefahrenzeichen in Madelaines gerötetem Antlitz und sagte: »Selbstverständlich hatten die Schwestern Recht. De Etenduni ist immer schon ein sonderbarer Kauz gewesen, hat seine Familie immer auf seine Missionen mitgenommen. Und Ihr hörtet die Reden seiner Tochter und stelltet Euch die Romantik vor, die ein solches Unterfangen bringen würde. Ihr seht Euch von Luxus umgeben und von aufregenden Männern bewundert. Doch wenn all das wahr ist, was ich gehört habe, ist es in diesen fremden Ländern gar nicht so behaglich.«
»Ihr seid ein großer Narr«, sagte Madelaine abschätzend. »Was schert mich denn Behagen, wenn es doch so vieles zu erfahren gibt.«
In vollkommener Steifheit sagte le Marquis: »Ich denke, Mademoiselle, Ihr würdet feststellen, dass die Freuden des Wissens in weniger zivilisierten Ländern nur dünn gesät sind. Aber natürlich wisst Ihr es am besten. Ich möchte mich Euch auf keinen Fall aufdrängen.«
Seine Förmlichkeit schien sie zu erheitern und den Bann zu lösen. Lachend lehnte sie sich in die Polster zurück. »Ich habe Euch mir bereits aufdrängen lassen. Und ich wollte wahrlich folgsam sein und den Wünschen meines Vaters willfahren. Er sagte, dass Ihr mich zu Geliehen wünscht, aber dem ist nicht so, Marquis. So kann es nicht sein.«
»Es ist meine größte Hoffnung«, sagte Chenu-Tourelle mit zusammengebissenen Zähnen.
Madelaine schüttelte den Kopf. »Nein. Ihr würdet mich binnen Kurzem langweilig finden und Euch wieder Euren Mätressen und
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