Hotel van Gogh
vorher noch ins Meer?«
»Gut, erst eine Abkühlung.«
Nach dem Schwimmen gehen sie Hand in Hand über den Strand zum Hotel.
»Ich bin überzeugt, dass du das nicht bereuen wirst. Spürst du nicht das Geheimnisvolle, das sich hinter diesem Titel Sarahs Paris verbirgt?«
»Wenn du mir beim Gegenlesen hilfst, sozusagen unser gemeinsames Urlaubsprojekt, dann könnte ich der Sache schon eher einen Reiz abgewinnen.«
»Einverstanden, ich bin auf sein Buch gespannt und was ihn zu diesem Lebenswechsel getrieben hat.«
»Etwas Zeit musst du mir heute noch lassen, um wenigstens einen Blick in seine Tagebücher zu werfen, damit ich morgen nicht völlig unvorbereitet vor dem Verleger stehe.«
Der Aussteiger
Aus den Tagebüchern
Arthur Hellers
Das Einzige, was mich tröstet, ist,
dass erfahrene Leute sagen, man
muss erst mal zehn Jahre lang
für nichts malen.
Vincent van Gogh, Brief an Theo van Gogh
aus der Anstalt in St. Rémy, 1889
Sie sehen mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Dabei habe ich es doch seit Jahren angekündigt. Offensichtlich hat mir keiner geglaubt. Ich hoffe nur, dass sie meine Bücher genauer lesen werden, als sie mir damals zuhörten. Überhaupt, bin ich irgendjemandem Rechenschaft schuldig? Meiner Ex-Frau im Nachhinein doch wohl kaum, was ich mit meinem Leben anfange, ist ihr längst gleichgültig, und finanziell ist sie abgesichert, dafür hat ihr Scheidungsanwalt gesorgt. Meiner Familie, den Freunden und Bekannten? Nach der Scheidung meiner Ehe ist meine Nichte Sabine, mein Patenkind, die einzige Tochter meiner verstorbenen Schwester, meine nächste Verwandte. Und auch sie, die ich auf bestimmte Weise immer sehr liebgehabt habe, ist mehr und mehr aus meinem Leben verschwunden.
Wenn, dann habe ich nur mir etwas zu beweisen. Wobei beweisen nicht das richtige Wort ist. Es geht um keinen Beweis. Es geht darum, endlich der inneren Stimme zu folgen. Es geht um mein Leben.
Meine Bekannten sehen das nicht so. Ich solle doch ehrlich sein, ich wolle als reicher Aussteiger in Paris das Leben genießen, daran liege mir doch, nicht an einer fadenscheinigen Karriere als Schriftsteller ohne Buch.
Aber schreiben will ich nicht erst seit heute, nur dass ich damit bis fast fünfzig gewartet habe. Auch als Unternehmer habe ich immer schon Notizen, Beobachtungen und Träume niedergeschrieben. Diese Seite von mir, von der in meinem beruflichen Alltag niemand etwas ahnte. Mehrere Romanprojekte habe ich bis in die Einzelheiten vorskizziert. Es ist kein Sprung ins Ungewisse. Ich weiß, was ich tue.
In meinem ersten Roman verliebt sich ein deutscher Student in Sarah, eine jüdische Französin in Paris. Mit neunundvierzig bin ich jetzt bei Beginn des Romans mehr als doppelt so alt wie dieser Student. Irgendwann vergisst man, was sich in jungen Liebenden abspielt. Wenn ich Sarahs Paris weiter hinausschiebe, werde ich bald nicht mehr dazu in der Lage sein.
Ob du dich nicht überschätzt? Von allen Seiten die Zweifel an meinem Unterfangen. Du schreibst ein Buch über die deutsche Nachkriegsproblematik, und dafür verkaufst du dein erfolgreiches Unternehmen?
Aber ich muss einfach schreiben. Der kreative Prozess, darum geht es mir. Veröffentlicht zu werden ist zweitrangig, berühmt zu sein spielt für mich keine Rolle. Erfolgreich bin ich, wenn ich die Befriedigung beim Schreiben verspüre.
Und ein zweites Leben, bewusst und aus eigener Kraft, wann gibt es das schon? Mit diesem Gefühl, immer noch jung zu sein, noch einmal die innere Aufregung, das Kribbeln im Magen?
Ich bemerke, wie ich beobachtet und insgeheim belächelt werde. Und auch, wie man mich beneidet! Die Genugtuung meines Versagens darf ich ihnen nicht verschaffen. Dafür setze ich mein Leben aufs Spiel. Mein zweites Leben.
Es dauerte Ewigkeiten, bis ich in Heidelberg die Zelte abgebrochen hatte. Immer neue Probleme, der Verkauf der Firma kommt mir dagegen im Rückblick vergleichsweise einfach vor. Es braucht eben seine Zeit, sich für diese Zukunft von allem Überflüssigen zu befreien, einschließlich des großen Mercedes. Ein völliger Neuanfang. Nur noch der Blick nach vorn.
Ich habe mich für Paris entschieden, um in Sarahs Welt zu leben. Damit ihre Geschichte bis in jede Einzelheit stimmt. So etwas lässt sich nicht aus der Ferne machen, in München etwa oder in Rom. Oder New York, was mir an diesem Punkt in meinem Leben genauso offen gestanden hätte.
Das Glück des Optimisten, ich muss nur den Rückenwind ausnutzen. Eine Wohnung
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