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Hotel van Gogh

Hotel van Gogh

Titel: Hotel van Gogh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Bechtle
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in der Rue Bonaparte, eine ganze Etage, viel zu groß für mich. Aber ich spüre, dass ich Platz um mich benötige, um frei in herrlicher Einsamkeit zu leben, unbeobachtet, barfuß, den ganzen Tag nackt herumlaufen, wenn mir danach wäre.
    Aus dem Wohnzimmer sehe ich gegenüber die École des Beaux-Arts, während der Blick von den hinteren Räumen auf die Terrasse des Hotels L’Hôtel an der Rue des Beaux-Arts fällt. Ich richtete mir eines dieser Zimmer als Arbeitszimmer ein, im Mittelpunkt eine moderne Arbeitsplatte. Ich war nie in meinem Leben so glücklich wie jetzt abends allein in meiner Wohnung bei einem Glas Rotwein und dem Blick in den gelblichen Pariser Nachthimmel.
    Ich lerne Françoise kennen, eine lebhafte rothaarige Pariserin, die in der Rue des Beaux-Arts mit einer Freundin eine Galerie für moderne Kunst betreibt. Alles ist aufregend neu.
    Natürlich stehe ich nicht über den Dingen. In der Vergangenheit habe ich mich jahrelang hinter meinem Erfolg als Unternehmer versteckt. Mit dem Schreiben stelle ich mich dem Risiko, zu versagen, der Möglichkeit eines totalen Crashs. Aber mir bleibt gar keine andere Wahl.
    Ich wandle wochenlang auf Sarahs Spuren. Der Roman spielt bewusst vor den Unruhen des Mai 68, weil es darum nicht geht. Steffen, ein Münchener Student, kommt zur Aufnahmeprüfung bei einer der französischen Eliteschulen nach Paris. Er wohnt bei seinem Freund André in der Rue de Grenelle. Ein israelischer Geschäftsmann hat André den Auftrag erteilt, das unterirdische Netzwerk von Gängen und Schächten am linken Seineufer auf einer Karte zu erfassen. Seine Tochter Sarah und Steffen verlieben sich, ein junger Deutscher und eine Jüdin, ungewöhnlich zu dieser Zeit. Tatsächlich gehört Sarahs Vater dem Mossad an. Als Steffen zufällig in eine Aktion des Geheimdienstes hineingerät, wird er im Untergrund bewusstlos geschlagen. Später rettet ihn Sarahs Vater, obwohl er heftigst gegen die Verbindung seiner Tochter mit dem Deutschen, dem »boche«, ist.
    Ich brauche ein spektakuläres Mossad-Projekt als historischen Hintergrund. Die Schnellbootaffäre von Cherbourg, der Diebstahl der Blaupausen für die Mirage-Flugzeugteile, die Zerstörung des Brennmaterials für den von den Franzosen unterstützten Bau des Atomreaktors im Irak. Kein Geheimdienst der Welt konnte dem Mossad zu jener Zeit das Wasser reichen. Immer wieder gehe ich an der israelischen Botschaft in der Rue Montagny in der Nähe des Elysée-Palasts vorbei. Ich versetze mich in die innere Verfassung der Agenten beim Planen ihrer Aktionen, dem Abwägen der Risiken und der Durchführung ihrer spektakulären Projekte. Aber es soll kein Buch über den Mossad werden, sondern es geht um diese deutsch-jüdische Liebesgeschichte, die Bewältigung des Grauens der Vergangenheit.
    Bei meinem ersten Besuch des jüdischen Viertels im Marais erfasst mich ein beklemmendes Gefühl. Über fünfzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Steffen, mein Protagonist, muss dies im Jahr 1965 noch bedrückender empfunden haben. Diese Mauer der Scham, die ewig bestehen wird. Aus diesem Grund schreibe ich über Sarah und ihren Deutschen und über ihre Liebe, mit der sie ihre Umwelt überraschen.
    In den engen Straßen des Viertels herrscht eine ernste und gleichzeitig feierliche Stimmung. Die Juden in dunkler Feiertagskleidung, während ansonsten Paris werktäglich pulsiert. Die Synagoge in der Rue Pavée wird von einer Polizeiabsperrung geschützt. Von einem der Polizisten erfahre ich, dass Jom Kippur ist, der heilige Tag der Sühne und Buße, an dem der jüdische Alltag in Andacht erstarrt.
    Als ich einige Tage später wiederkomme, unterscheidet sich das jüdische Viertel in nichts vom übrigen Paris: lärmende Kinder in ihren Schuluniformen, dichtes Gedränge um die Mittagszeit, stockender Verkehr und stickige Abgase. Und doch mischt sich eine eigentümlich andere Stimmung mit hinein, hebräische Schriftzeichen, koschere Metzgerläden, mir unbekannte Backwaren in den Bäckereien. Im Restaurant Jo Goldenberg esse ich zu Mittag. Steffen und Sarah werden sich hier verabreden und sich aus dem Schatten der jüngsten Geschichte und den zwischen ihnen stehenden Vorurteilen lösen. Ich spüre ihre Liebe, aber mehr noch die Hindernisse. Als Optimist stehe ich auf der Seite derer, die wagen und nicht aufgeben. Ich stehe von Anfang an auf der Seite Sarahs, die handelt und nicht zögert.
    Ich blicke mich um, auf der Suche nach einer Frau, die Sarah sein könnte. Ich

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