Hotel van Gogh
Drogenmädchen und die Burgkinder waren in gewisser Weise Ausflüchte, weil ich mich noch nicht an Sarah herangewagt habe. Jetzt fühle ich mich ihr gewachsen. Sarah ist das Ziel, niemandem bin ich Rechenschaft schuldig, ich bereue nichts, ich schreibe, ich lebe mit Sarah, ich bin mit meinem Leben zufrieden.
Überraschend lädt mich ein Bekannter zum Mittagessen mit einem deutschen Verleger ins Les Deux Magots ein. Natürlich greife ich nach jeder rettenden Hand. Ich treffe vor den beiden beim Café ein. Während ich warte, beobachte ich den Eingang der Brasserie Lipp gegenüber, wo damals genau um diese Tageszeit die Entführung Ben Barkas erfolgte. Auf den Gehsteigen drängen sich die Passanten. Wie will man da, ohne Aufsehen zu erregen, einen Menschen entführen?
Der Verleger, ein offener, lässiger Typ, der gerne lacht, hat die vergangenen Wochen in Big Sur an der Küste Kaliforniens verbracht, seine zweite Midlife-Krise. Seinen Verlag kenne ich nicht, ein kleiner Münchener Verlag. Zuvor hat er erfolgreich die Buchsparte bei einem großen deutschen Zeitungsverlag aufgebaut, die dann hinter seinem Rücken verkauft und zerschlagen wurde. Deswegen seine Lebenskrise. Mit seinem neuen Verlag will er der Welt etwas beweisen. Das gefällt mir an ihm.
Ich erzähle ihm von Sarah und dem jungen Deutschen. Er hört mir aufmerksam zu, während seine Finger fahrig an seinem Rotweinglas spielen.
»Die Verschwörung um Ben Barka finde ich gut, besonders auch die Zusammenarbeit der verschiedenen Geheimdienste, im Gegensatz zur offiziellen Politik ihrer Regierungen. Aber mit Sarah sehe ich Probleme.«
»Ihretwegen schreibe ich das Buch.«
»Sie haben sich kein einfaches Thema ausgesucht: Judentum, eine Liebesgeschichte zwischen einem Deutschen und einer Jüdin, der Holocaust-Bezug, Reizthemen in Deutschland, von denen jeder Verleger lieber die Finger lässt. Es kommt nicht darauf an, wie gut es geschrieben ist.«
»Aber es handelt doch von der Nachkriegsgeneration, das Leben geht weiter.«
»Sie und ich sehen das so, allerdings ist Deutschland dafür noch nicht offen, trotz aller Sonntagsreden.«
»Dabei wird doch ein Holocaust-Buch nach dem anderen verlegt.«
»Aber nicht als Roman, das dürfen Sie nicht vergleichen.«
»Der Vorleser wurde zu einem Riesenerfolg.«
»Das ist ein Buch über Deutsche unter sich. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.«
Die Meinung des Verlegers verunsichert mich. Ziellos wandere ich nach unserer Verabschiedung durch Saint-Germain-des-Prés. Es ist ja nicht der erste Rückschlag, den ich verkraften muss. Aber je mehr ich Sarah in Frage stelle, umso klarer erkenne ich, dass ich weitermachen muss, egal welche Einwände sich mir noch entgegenstellen werden. Denn bei diesem Buch geht es in letzter Konsequenz um mich.
Irgendwann fällt mir auf, dass ich mich entschieden mehr mit Sarah als mit dem Studenten befasse. Vielleicht weil ich selbst überall nach Sarah suche. Ich sehe ihre Augen mit diesem tiefgründigen Grün, das sich unvermittelt in ein sonnig schimmerndes Grün verwandelt. Sie ist nie voraussehbar, bleibt sich nie gleich. Es gibt kein Bild von ihr. Sarah ist die perfekte Mossad-Agentin.
Plötzlich erinnere ich mich, wo ich ihre Augen gesehen habe!
Ich muss die Iranerin aus dem Van-Gogh-Haus noch einmal treffen, um Sarah zu beschreiben. Vor einigen Wochen fuhr ich in Erinnerung an Jean nach Auvers, ein Schritt zurück auf den Spuren unseres kurzen Zusammenseins. Diesmal komme ich auf der Suche nach der Zukunft.
Gérard Dechaize sieht mich durchdringend an.
»Die Iraner leben für sich in ihrer Gemeinschaft, wie auf einer Scholle, sie sind weder hier noch im Iran zu Hause. Es gibt wenig Berührungspunkte. Ziba ist eine Ausnahme, aber nur soweit es van Gogh betrifft. Ich rate dir, die Finger von ihr zu lassen.«
»Mir geht es nicht um sie, sondern um Sarah, die Hauptfigur des Romans, an dem ich gerade schreibe. Ziba ist meine Sarah, oder jedenfalls wie ich sie mir vorstelle. Das ist alles. Warum verschaffst du mir nicht eine Van-Gogh-Führung durch sie, was könnte unverfänglicher sein!«
»Ihr Schwager erlaubt keine Einzelführungen. Die Sache behagt mir nicht, besonders weil sie sich auch nach dir erkundigt hat, nicht direkt, aber dennoch.«
»Gut, dann sag ihr, ich sei hier, um Informationen über van Gogh zu sammeln. Das entspricht der Wahrheit, ich möchte über sein Lebensende hier in Auvers schreiben, in diesem Haus, über sein zähes Festhalten an der Kunst
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