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Hotel van Gogh

Hotel van Gogh

Titel: Hotel van Gogh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Bechtle
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sich längst nicht mehr mit Vernunft erklären. Aber ich weiß, dass ich mich auf dem richtigen Weg befinde, wenn ich diese Erregung beim Schreiben verspüre, wenn ich die Worte laut lese und sie plötzlich ganz anders klingen, wenn ich an einem bestimmten Punkt nicht mehr weiterkomme und wenn sich mir dann morgens beim Joggen mit einem Mal die nächste Wendung offenbart, als liege die Geschichte ausgebreitet vor mir, als müsse ich nur zugreifen. Ich bin das Medium für etwas, das es längst gibt. Ich bin das Medium für Sarah.
    Ich war nie so glücklich wie beim Schreiben. Ich schrecke nicht mehr auf, wenn ich mich mit mir reden höre. Ein weiteres Zeichen des Alleinseins des Künstlers, womit ich längst zu leben gelernt habe.
    An einem sonnigen Sommertag fahre ich nach Auvers-sur-Oise. Seit einiger Zeit spiele ich mit dem Gedanken, über van Gogh zu schreiben, über seine Besessenheit und sein Sisyphosleben. Natürlich hat es mit mir zu tun. Und mit Jean, der ich mich in Auvers noch einmal besonders nah fühle.
    Ich bin allein in der winzigen Mansarde van Goghs. Kaum vorstellbar, wie er hier drei Monate gehaust hat und gleichzeitig dieses monumentale Werk schuf, trotz des Sturms, der in ihm tobte.
    Egal welche Hindernisse, du darfst erst aufgeben, wenn du Sarahs Geschichte geschrieben hast, beschwöre ich mich in diesem Augenblick. Der Erfolg wird sich einstellen, früher oder später. Und hoffentlich früher als bei van Gogh.
    Das Zwiegespräch mit van Gogh wirkt auf seltsame Weise beruhigend. Meine Zweifel sind verflogen, ich weiß, dass ich mich auf dem richtigen Weg befinde. Man braucht gelegentlich diese Momente, in denen sich die Zukunft in aller Klarheit offenbart, als öffne sich plötzlich ein Vorhang.
    Im Restaurant im unteren Stock stoße ich auf Gérard, der sich gerade von einer Frau verabschiedet. Gérard stellt sie mir vor.
    »Dies ist Ziba Taleb. Sie befasst sich seit langem mit van Gogh und hilft mir bei Führungen. Niemand kennt sich besser aus als sie über van Goghs Zeit in Auvers.«
    Ziba reagiert lächelnd auf das Kompliment. Schwarzes Haar rahmt ihr gleichmäßiges Gesicht, ein natürlicher Glanz liegt auf den leicht hervorgehobenen Backenknochen und den sanften Mulden in ihren Wangen. Ihre grünen Augen, geheimnisvoll wie zwei Smaragde, blicken mich durchdringend an. Sie legt sich ein farbiges Kopftuch um.
    »Mein Schwager wartet, ich muss gehen. Vielleicht sehen wir uns ein andermal.«
    Ziba reicht mir die Hand. Ich spüre ihre samtig-warme Haut. Ihr Blick lässt mich nicht los, bis sie sich ohne ein weiteres Wort abwendet und das Haus verlässt.
    »Ziba ist Iranerin, ihr Mann ist vor einigen Monaten bei einem Zwischenfall an der irakisch-iranischen Grenze umgekommen. Seitdem lebt sie hier mit der Familie seines Bruders, wie es bei den Muslimen üblich ist. Ihr Schwager hält sich sklavisch an die Regeln des Islam. Für Ziba ist das nicht einfach.«
    Auf der Fahrt nach Paris geht mir Ziba nicht aus dem Kopf. Als sähe ich Sarah, ihr schwarzes schulterlanges Haar und diese tiefgrünen Augen. Lebenshungrige Augen, besser noch liebeshungrige Augen.
    Ob es das Schicksal so wollte, dass mich Jean, meine blonde Kalifornierin, zu der dunkelhaarigen Iranerin geführt hat, hinter der sich die Jüdin Sarah verbirgt?
    Sarahs Paris wird aus der Sicht des deutschen Studenten erzählt, nur was er weiß und denkt, erfährt der Leser. Der Deutsche hält Sarah erst für eine französische Kunststudentin, bis er hört, dass sie Jüdin ist und keine Französin, sondern aus Israel. Ihre Verwicklung in die Verschwörung um Ben Barka wird nie mit letzter Sicherheit bestätigt. Das Ungewisse, das Sarah umgibt, bestimmt ebenso ihre Beziehung zu dem Studenten.
    Nach und nach schälen sich einzelne Teile des Buches heraus. Die deutsch-jüdische Berührungsangst der Nachkriegsgeneration zu einer Zeit, als sich deren Auseinandersetzung mit der Tätergeneration noch im Frühstadium befindet. Für den Studenten ist dies abstrakt, bis er erstmals bewusst einer Jüdin begegnet. Durch ihre Liebe erhält die Vergangenheit einen neuen Stellenwert.
    Wenn er Sarah heimlich beobachtet, fragt er sich, wie er sich damals verhalten hätte. Er erschrickt, als er sich keine überzeugende Antwort geben kann. Die Frage und meine fehlende Antwort darauf erschrecken mich ebenfalls, wenn ich mich verzweifelt damit befasse.
    Ich fühle mich wie befreit von dem Druck, der mich seit meiner Ankunft in Paris immer wieder gequält hat. Das

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