Hotel van Gogh
Mann war viel unterwegs, und ich hatte hier nichts zu tun. Heute ist van Gogh mein Fenster in die Freiheit. Habe ich dir etwas Neues bieten können?«
»Ich fand die Darstellung gut, wie nah bei van Gogh die Höhen und Tiefen der Empfindungen beieinanderliegen: die zuversichtlich leuchtenden Farben und seine trostlose innere Stimmung.«
Sie lächelt, ohne auf meine Bemerkung einzugehen. Kurz vor dem Dorf verlangsamt sie ihren Schritt, um die Amerikaner zu uns aufschließen zu lassen. Im selben Augenblick erkenne ich auch den Mann, mit dem ich sie damals auf der Straße gesehen habe. Ziba geht grußlos an ihm vorbei. Er folgt uns mit Abstand. Ich glaube kaum, dass er mich erkannt hat, und doch bin ich beunruhigt.
Gérard führt die Amerikaner zur Mansarde van Goghs im oberen Stock. Ziba hält mich zurück, als wir die Treppe hochgehen. Plötzlich sind wir allein. Wir blicken uns an, die Amerikaner vor uns sind mit einem Mal vergessen. Ich nehme sie in die Arme, drücke sie an mich, spüre ihre weichen Lippen, ich weiß nicht wie lange, aber es erscheint wie eine Ewigkeit. Sie atmet aufgeregt, als wir uns aus unserer Umarmung lösen, ihre grünen Augen glänzen.
»Wir müssen uns wiedersehen, Ziba! Vielleicht in Paris?«
»Du weißt, ich bin nicht frei. Du darfst nicht noch einmal an einer Führung teilnehmen, mein Schwager würde dich jetzt erkennen.«
»Natürlich bist du frei, hier in Frankreich!«
»Wir leben im Exil.«
»Aber du willst doch, dass wir uns wiedersehen?«
Bevor sie antworten kann, ruft einer der Amerikaner nach ihr. Später bei der Verabschiedung ist sie plötzlich verschwunden.
Nach dem Besuch in Auvers sehe ich die Mauern zwischen Sarah und Steffen deutlicher als zuvor. Während ich mit Sarah und Steffen lebe, drängt sich Ziba ins Bild. Diese plötzlich aufkeimende Liebe, und in meinem Alter stehe ich ihr so hilflos gegenüber wie der junge Student, dessen Unsicherheit man noch eher verstehen könnte. Als sei meine Lebenserfahrung nichts wert.
Zwischen Ziba und mir liegen Welten. Mit einem Mal stößt mir in meinem Pariser Alltag das antimuslimische Vorurteil auf. Unüberbrückbare Gegensätze zwischen der traditionellen islamischen und der westlichen Welt. Bei Ziba befinde ich mich in der windlosen Stille im Auge des Sturms.
Sie ruft mich völlig unerwartet an. Ihre Stimme wie ein verängstigtes Flüstern, ich verstehe sie kaum.
»Gérard hat mir deine Telefonnummer gegeben. Ich denke oft an dich. Aber ich weiß nicht, wie es weitergehen soll?«
»Ich muss mich mit deinem Schwager verständigen.«
»Das ist hoffnungslos, er würde nie zulassen, dass ich mich mit einem Andersgläubigen treffe.«
»Du wärst nicht die erste.«
»Jedes Schicksal ist anders. Aber ich gebe nicht auf, ich möchte bei dir sein …«
Die Leitung wird abrupt unterbrochen. Ich starre auf den schwarzen Telefonhörer in meiner Hand.
Glaubt man Gérard, ist sie ihrem Schwager an Wissen überlegen, und doch ist sie ihm gegenüber machtlos. Islam bedeutet Unterwerfung. Unterwerfung unter die Religion, anders kann das nicht gemeint sein, und nicht Unterwerfung unter die Herrschaft des Mannes, wie dieser sich das über die Jahrhunderte zurechtgelegt hat. In diesem Netz hat sich Ziba verfangen.
Bei meinem verzweifelten Überlegen nach einem Ausweg für Ziba und mich gerate ich mit dem Schreiben ins Stocken. Mit einem Mal halte ich es in der Wohnung nicht mehr aus.
Draußen herrscht eine eigentümliche Stimmung. Passanten gehen mit versteinerten Mienen oder Entsetzen in ihrem Blick an mir vorbei, aber vielleicht bilde ich mir das in meinem eigenen trostlosen Zustand auch nur ein. In einem Bistro drängen sich die Menschen vor dem Fernseher. Durch die Fensterscheibe sehe ich auf dem Bildschirm ein Hochhaus, in den ein Flugzeug in Flammen explodierend zerschellt, und unten auf den Straßen flüchtende Menschen, die dem Inferno zu entkommen suchen. Ich erkenne das World Trade Center in New York City, natürlich, ich bin doch dort gewesen, auf der Suche nach meinem Drogenmädchen. Szenen unvorstellbaren Grauens. Um mich herum herrscht fassungsloses Schweigen.
»Verfluchte Araber«, sagt jemand in die bedrückende Stille und spuckt auf den Boden.
Zu Hause schaue ich stundenlang fern, wechsle von den amerikanischen auf die deutschen und französischen Sender. Überall dieselben Bilder. Die westliche Welt ist in ihrem Kern und ihrem Selbstbewusstsein getroffen. Die Wut steigert sich ins Unkontrollierbare. Nichts
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