Hotel van Gogh
sich mit der Materie zu identifizieren. Die Art, wie er den Text angeht, gefällt mir. Manchmal ereifert er sich, dann deutet er auf Entwicklungen und Linien, die mir bisher nicht aufgefallen waren. Am Ende reicht er mir das Manuskript.
»Wenn Sie mir in den nächsten Wochen einen neuen Entwurf liefern, können wir Sarahs Paris möglicherweise noch in unser Herbstprogramm aufnehmen. Wir haben noch einen Programmplatz frei. Versprechen kann ich nichts. Sie müssen mich überzeugen.«
Damit ist der Ernstfall eingetreten. Im Ernstfall konnte ich immer schon einen Gang zulegen, der Druck, wenn man weiß, dass es nun um alles geht. Etwas überrascht bin ich allerdings, dass er nichts von einem Vertrag erwähnt hat. Aber vielleicht kommt das später, erst eine Fassung, mit der sich der Verleger einverstanden erklärt, dann der Vertrag.
Plötzlich sieht es so aus, als sollte mir wenigstens dieser Wunsch vom Schicksal erfüllt werden. Was wiegt mehr, das Hochgefühl des Sieges oder der Schmerz der Niederlage? Der Sieg bei Sarah oder die Niederlage bei Ziba?
Justine kommt jetzt regelmäßig in meine Wohnung. Ich bitte sie, sich meine Korrekturen zu Sarahs Paris anzuschauen. Mit Sarah entscheide sich schließlich auch die Zukunft von Central Park South . Ich schlage ihr vor, in das kleine Zimmer hinten am Gang einzuziehen, während wir an Sarah arbeiten und vielleicht auch danach.
»Schließlich gibt es noch eine Menge an Central Park South und an meiner Novelle über Johanna van Gogh zu tun. Du wolltest doch einmal Lektorin werden! Und ich brauche jemanden wie Johanna, wäre das nicht eine ideale Aufgabe für dich?«
Tatsächlich habe ich mich in letzter Zeit immer wieder gefragt, was mit meinen Romanen passieren würde, sollte mir etwas zustoßen. Justine als meine Statthalterin, warum nicht? Natürlich gegen Bezahlung, sage ich. Aber sie zögert.
»Lass uns abwarten, was aus Sarah wird. Dann sehen wir weiter.«
Vielleicht hat sie recht, und wie würde es aussehen, diese Frau, die eigentlich nicht in mein sonstiges Leben passt, in meiner Wohnung zu haben.
An dem Tag, an dem ich das vollständig überarbeitete Manuskript an den Zwei-Falken-Verlag sende, steigen die Temperaturen in Paris auf über dreißig Grad. Möglich, dass es die vergangenen Wochen auch schon so heiß war und mir in meinem Arbeitswahn nur nicht aufgefallen ist.
Die meisten meiner Bekannten sind vor dem drückenden Wetter aus Paris geflohen. Auch Justine ist verschwunden, nachdem es zwischen uns zu einem dummen Missverständnis gekommen ist, alles meine Schuld, als ich ihr plötzlich zu nahe trat. Im Nachhinein unverständlich, was mich dabei beritten hat. Wie auch immer, ich schlafe schlecht, die Hitze, die Erschöpfung nach der pausenlosen Anspannung der vergangenen Wochen. Am nächsten Morgen in den Tuilerien überkommt mich ein Schwächeanfall, ich muss meinen Lauf abbrechen. Später stelle ich hohes Fieber fest. An einem der heißesten Tage in der Geschichte von Paris liege ich frierend im Bett.
Eine Woche verbringe ich schlaff in der Wohnung, schlafend oder gedankenlos treibend. Ich registriere kaum den Eingang der E-Mail von Dr. Zapf, dass das Buch angekommen und er auf das Ergebnis gespannt sei. Dabei spricht er vom Buch, nicht mehr vom Manuskript.
Am Ende eines Lebensabschnitts. Bei Sarah bleibt nichts weiter zu tun, alle Zeichen stehen auf Sieg. Ziba, die andere Frau in meinem Leben, ist mehr Traum als Wirklichkeit. Mitte fünfzig ist die Zeit für Träume vorbei. Aber tatsächlich ruft Ziba an.
»Mein Schwager wird weg sein, er verreist für einige Zeit, erst in den Libanon, dann in den Irak. Ich habe das hinter seinem Rücken eingefädelt, die Präsidentin hat mir geholfen.«
Als ich schweige, fragt sie: »Warum sagst du nichts? Oder hast du mich schon aufgegeben?«
»Noch nicht, aber ewig kann das nicht so weitergehen.«
»Es ist meine Schuld.«
»Du musst dich entscheiden, Ziba. Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, was soll schon geschehen.«
»Du verstehst diese Zwänge nicht, die mein Leben bestimmen. Natürlich möchte ich zu dir!«
»Irgendwann kommt dein Schwager von seiner Mission zurück, und dann? Ich bin es gewohnt, Probleme unmittelbar anzugehen. Wir müssen uns aussprechen, dein Schwager und ich.«
»Es ist sinnlos.«
»Kann deine Präsidentin dabei nichts für dich tun?«
»Sie steht auf meiner Seite, aber ihrer Macht sind Grenzen gesetzt. Sie ist die Politik, mein Schwager der Islam. Hier geht es um
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