Hotel
Tiger. Aber einem Mann macht es vermutlich Spaß, aufgefressen zu werden. Diese Bemerkung war natürlich unfair, sogar hart. Aber es stimmte, daß Marsha weder ein Kind war noch wie ein Kind behandelt werden durfte.
»Marsha, Sie kennen mich doch kaum und ich Sie auch nicht.«
»Glauben Sie an Instinkt?«
»Bis zu einem gewissen Grad, ja.«
»Ich fühlte mich instinktiv zu Ihnen hingezogen. Vom ersten Augenblick an.« Zuerst hatte ihre Stimme geschwankt; nun wurde sie fester. »Mein Instinkt hat meistens recht.«
»Auch bei Stanley Dixon und Lyle Dumaire?« fragte er milde.
»Da hatte ich den richtigen Instinkt, aber ich hab mich nicht daran gekehrt, das ist alles. Diesmal bin ich ihm gefolgt.«
»Es kann trotzdem eine Täuschung sein.«
»Gegen Irrtümer ist man nie gefeit, auch wenn man sehr lange wartet.« Marsha wandte sich ihm zu und sah ihn gerade an. Als sie ihm forschend in die Augen blickte, spürte er an ihr eine Willensstärke, die ihm bisher nicht aufgefallen war. »Mein Vater und meine Mutter kannten einander fünfzehn Jahre lang, bevor sie heirateten. Meine Mutter hat mir mal erzählt, alle ihre Freunde hätten ihnen eine perfekte Ehe prophezeit. Wie sich dann herausstellte, hätte sie gar nicht schlechter sein können. Ich weiß Bescheid; ich hab’s miterlebt.«
Er schwieg, weil er nicht wußte, was er sagen sollte.
»Ich habe einiges dabei gelernt. Und noch etwas anderes hat mir zu denken gegeben. Sie haben Anna heute abend gesehen?«
»Ja.«
»Mit siebzehn wurde sie gezwungen, einen Mann zu heiraten, dem sie vorher nur ein einziges Mal begegnet war. Es war eine Abmachung zwischen den beiden Familien; damals gab es so etwas noch.«
»Erzählen Sie weiter.«
»Am Tag vor der Hochzeit weinte Anna die ganze Nacht hindurch. Aber sie wurde trotzdem verheiratet, und ihre Ehe dauerte sechsundvierzig Jahre. Ihr Mann starb letztes Jahr; sie wohnten hier bei uns. Er war der netteste, süßeste Mann, den man sich denken kann. Und wenn es jemals ein glückliches Ehepaar gab, dann waren’s die beiden.«
Er zögerte, weil es ihm widerstrebte, einen allzu leichten Gewinn einzuheimsen, wandte dann aber doch ein: »Sie widerlegen sich selbst. Anna folgte ihrem Instinkt nicht. Hätte sie’s getan, dann hätte sie nicht geheiratet.«
»Ich weiß. Ich will damit bloß sagen, daß es überhaupt keine garantiert sichere Methode gibt. Instinkt kann ein ebenso guter Wegweiser sein wie sonst was.« Sie verstummte und fügte nach einer Weile hinzu: »Ich weiß genau, mit der Zeit könnte ich Sie dazu bringen, mich zu lieben.«
Es war grotesk, aber plötzlich überkam ihn ein Gefühl der Erregung. Der Gedanke war natürlich absurd; der überspannte Einfall eines romantischen, phantasievollen Mädchens. Er, der früher selbst das Opfer seiner romantischen Vorstellungen geworden war, mußte es von Rechts wegen wissen. Aber wußte er es denn wirklich? Hatte jede Situation ihren Vorgänger? War Marshas Antrag tatsächlich so phantastisch? Er war plötzlich und gegen jede Vernunft überzeugt davon, daß alles, was sie gesagt hatte, durchaus zutreffen konnte.
Er fragte sich, was der abwesende Mark Preyscott von dem Einfall seiner Tochter halten würde.
»Falls Sie an meinen Vater denken …«
»Woher wissen Sie das?« fragte er entgeistert.
»Weil ich Sie allmählich ganz gut kenne.«
Er atmete tief ein und hatte dabei das Empfinden, daß die Luft sehr dünn war. »Was ist mit Ihrem Vater?«
»Zuerst wird er vermutlich beunruhigt sein und sofort nach Hause fliegen. Das macht aber nichts.« Marsha lächelte. »Vernünftigen Argumenten ist er immer zugänglich, und ich weiß, ich könnte ihn überzeugen. Außerdem würde er Sie mögen. Ich kenne die Sorte Leute, die er am meisten bewundert, und Sie gehören dazu.«
»Na«, Peter schwankte zwischen Belustigung und Ernst, »das ist wenigstens ein Trost.«
»Da ist noch etwas. Mir wäre es egal, aber meinem Vater nicht. Sehen Sie, ich weiß – und mein Vater würde es auch merken –, daß Sie eines Tages ein ganz großer Hotelmann sein werden, vielleicht sogar mit einem eigenen Hotel. Nicht, daß ich so wild darauf bin. Ich möchte Sie, sonst nichts.« Sie hielt atemlos inne.
»Marsha«, sagte Peter sanft, »ich weiß … ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll.«
In der nun folgenden Pause konnte er spüren, wie Marshas Selbstvertrauen nachließ. Es war, als hätte sie ihre Zuversicht aus einer Kraftreserve gespeist, aber nun hatte sich die Reserve
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