Hotel
Gesellschaftsspiel, das sie miteinander spielten, ohne es sich einzugestehen. Royce wußte ganz genau, daß der alte Mann, falls er es unterlassen hätte, den Bericht zu lesen, ihm mangelndes Interesse an den Hotelangelegenheiten vorgeworfen hätte.
Nun sagte Warren Trent sarkastisch: »Da anscheinend jedermann über die Ereignisse im Bilde ist, werden Sie’s mir nicht verübeln, wenn ich um ein paar Einzelheiten bitte.«
»Keineswegs.« Royce goß seinem Arbeitgeber Kaffee nach, »Miss Marsha Preyscott – Tochter des Mr. Preyscott – wurde gestern nacht beinahe vergewaltigt. Möchten Sie, daß ich Ihnen mehr darüber erzähle?«
Als Trents Miene sich verfinsterte, fragte Royce sich einen Moment lang, ob er vielleicht zu weit gegangen war. Ihr lockeres, unklares Verhältnis beruhte größtenteils auf Präzedenzfällen, die Aloysius’ Vater vor vielen Jahren gesetzt hatte. Der ältere Royce, der Warren Trent zuerst als Leibdiener und später als Gefährte und privilegierter Freund diente, hatte stets seine Meinung offen ausgesprochen, ohne sich um die Konsequenzen zu kümmern, was, in den ersten Jahren ihres Zusammenlebens, Trent in Weißglut versetzt und später, als es ihnen zur Gewohnheit geworden war, harte Worte zu wechseln, die beiden zu unzertrennlichen Freunden gemacht hatte. Aloysius war fast noch ein Junge, als sein Vater vor zehn Jahren starb, aber er hatte Warren Trents tiefbetrübtes, tränenfeuchtes Gesicht beim Begräbnis des alten Negers nie vergessen. Sie hatten den Mount-Olivet-Friedhof zusammen verlassen, hinter der Neger-Jazzband, die fröhlich »O, Didn’t He Ramble« spielte, Trent hatte Aloysius an die Hand genommen und barsch gesagt: »Du bleibst bei mir im Hotel, und später denken wir uns was aus.« Der Junge stimmte vertrauensvoll zu – da seine Mutter bei seiner Geburt gestorben war, blieb er nach dem Tod des Vaters ganz allein zurück –, und ihre gemeinsamen Überlegungen hatten ihn zuerst ins College gebracht und danach an die Universität, wo er in einigen Wochen sein juristisches Staatsexamen ablegen würde. Während aus dem Jungen ein Mann wurde, hatte er nach und nach viele von den ehemaligen Pflichten seines Vaters übernommen, und obwohl die grobe Arbeit vom Hotelpersonal getan wurde, leistete er Warren Trent persönliche Dienste, die letzterer, je nach Laune, kommentarlos oder nörgelnd akzeptierte. Dann und wann stritten sie hitzig, vor allem wenn Aloysius, um Trents Erwartungen nicht zu enttäuschen, auf einen Köder anbiß, den Warren Trent ihm gesprächsweise hinhielt.
Und doch, trotz ihrer Vertrautheit und der Erkenntnis, daß er sich Freiheiten herausnehmen konnte, die Warren Trent anderen nie gestattet hätte, war sich Aloysius Royce einer haarfeinen Grenze bewußt, die er niemals überschreiten durfte. Er fuhr fort: »Die junge Dame rief um Hilfe, und zufällig hörte ich sie.« Er schilderte sachlich seine Rettungsaktion und Peter McDermotts Eingreifen, das er weder lobte noch kritisierte.
Warren Trent hörte aufmerksam zu. »McDermott hat sich ganz richtig verhalten. Warum mögen Sie ihn nicht?«
Nicht zum erstenmal mußte sich Royce über den Scharfblick des alten Mannes wundern. »Vielleicht passen unsere chemischen Eigenschaften nicht zusammen. Oder vielleicht mag ich’s auch nicht, wenn große weiße Fußballer beweisen wollen, wie nett sie sind, wenn sie farbige Jungen freundlich behandeln.«
»Sie sind ein Querkopf.« Warren Trent beäugte Royce forschend. »Haben Sie schon daran gedacht, daß Sie McDermott möglicherweise unrecht tun?«
»Genau; wie ich sagte, vielleicht ist’s bloß chemisch.«
»Ihr Vater hatte einen Blick für Menschen. Aber er war viel toleranter als Sie.«
»Ein Hund mag Leute, die ihm den Kopf tätscheln, weil sein Verstand durch Wissen und Erziehung nicht belastet ist.«
»Selbst wenn es so wäre, bezweifle ich, ob er gerade diese Worte gewählt hätte.« Trents abschätzender Blick brachte Royce zum Schweigen. Die Erinnerung an seinen Vater beunruhigte ihn stets. Der ältere Royce, dessen Eltern noch Sklaven waren, als er geboren wurde, verkörperte das, was Neger heutzutage verächtlich als »Onkel Tom Nigger« bezeichneten. Der alte Mann hatte alles, was das Leben ihm brachte, heiter, frag- und klaglos hingenommen. Probleme, die über seinen beschränkten Horizont hinausgingen, berührten ihn kaum. Und dennoch hatte er, wie sein Verhältnis zu Warren Trent bewies, eine geistige Unabhängigkeit und eine
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