Hotzenwaldblues
bedeckten
Boden und den knochenharten, rissigen Lehm am Straßenrand. Wie sollte das erst
im Sommer werden! Sie machte schließlich dankbar im Schatten einer dieser neuen
Unterführungen mit blauem Geländer Halt, die sie im Abstand von nur wenigen
hundert Metern gebaut hatten, um wieder zu verbinden, was der Wall der
Autobahntrasse durchschnitt. Auf der linken Seite plätscherte ein kleiner Bach,
nein, eigentlich ein klägliches Rinnsal, in einem neuen, künstlich angelegten
Bett zu Tal. Die Bruchsteinquader der Uferbefestigung waren noch nackt und
grau, kein Moos, kein Grün war zu erkennen. Der Beton der Unterführung hingegen
war nicht mehr nackt. Fuck you, scheiß Niederhofer! hatte
jemand daraufgesprüht.
Iris lehnte sich gegen die Wand. Die Kühle war angenehm im Rücken.
Anfangs hörte sie nur ihr eigenes Schnaufen. Dann richtete sie sich etwas auf,
und … Tickte da etwas? Sie schüttelte den Kopf. Blödsinn. Doch das
Geräusch verschwand nicht. Es klang wirklich wie ein Ticken. Sie versuchte zu
ergründen, woher es kommen konnte. Und schließlich fand sie die Quelle.
Zwischen zwei größeren Bruchsteinen lag etwas. Sie bückte sich, um es näher in
Augenschein zu nehmen, und fuhr zurück. Eine Bombe! Eine ziemlich ungeschickt
gebaute Bombe, aber dennoch. Darin, wie die Karte in einem Strauß, steckte ein
Zettel. »Dies ist die dritte und letzte Warnung« ,
stand darauf. »In memoriam Bruno Manser. Der Wächter.«
Iris nahm ihn an sich und griff in die Hosentasche. Verflucht, sie
hatte ihr Handy vergessen! Sie begann zu rennen. Sie musste ins nächste Haus,
die Polizei und die Feuerwehr alarmieren.
Ein alter Mann kam ihr entgegen. Iris’ geschulter Blick der
erfahrenen Ermittlerin erfasste die Gestalt. Etwa achtzig Jahre alt,
untersetzt, blaue Augen. Trotz der sommerlichen Temperaturen trug er einen
Anorak, die Kapuze bis weit ins Gesicht gezogen, aber nur eine kurze Hose. Iris
konnte auf die Schnelle nicht ausmachen, ob es eine Shorts oder eine schwarze
Unterhose war. Daraus ragten dünne Säbelbeine hervor. Er trug schwarze Socken
und darüber karierte Hausschlappen. Der Mann wirkte verwirrt, wedelte mit den
Händen in der Luft herum und schimpfte laut vor sich hin. War das nicht …
Ja, tatsächlich, der vermisste Alte, Franz Örtler, Tanjas Vater.
»Lumpenpack, Blutsauger, Diebesgesindel, alles Verbrecher!«
Sie versuchte, ihn mit sich zu zerren. »Halt, gehen Sie zurück, da
vorne ist eine Bombe.«
Er sperrte sich, murmelte etwas, das sie nicht verstand. Eigentlich
war er aber auch weit genug von der Gefahrenstelle entfernt. »Sie bleiben hier
stehen! Hören Sie mich? Haben Sie mich verstanden?«
Er nickte.
Iris sah ihn einen Moment prüfend an. War er zu durcheinander oder
hatte er begriffen, was sie gesagt hatte? Sie war nicht sicher. Immerhin hatte
er reagiert. Sie musste es riskieren und schnellstens die Kollegen informieren.
Ehe noch mehr Menschen hier entlangliefen und in Gefahr gerieten. Um den alten
Mann würde sie sich später kümmern.
Während sie rannte, dachte sie über die Botschaft nach. »Dies ist die dritte und letzte Warnung.« Was
sollte das bedeuten? Die erste Bombe schien keine wirkliche Gefahr gewesen zu
sein. Wollte der Wächter damit sagen, dass es jetzt ernst
wurde? Dass er beabsichtigte, künftig Menschen in die Luft zu jagen? Und wieso
überhaupt die dritte ? Abgesehen von dieser hatten sie
nur die Bombe beim Schluchseewerk gefunden. Das waren zwei Bomben, nicht drei.
Allerdings … ›Sucht dort: Energieunternehmen, Regierungspräsidium,
Autobahn.‹ Es stimmte, das Wort Autobahn hatte der Wächter als Drittes genannt. Hatte er also als
zweite Warnung einen Anschlag auf das Regierungspräsidium in Freiburg geplant
gehabt? Auf den Regierungspräsidenten selbst? Glücklicherweise war der ja
gewarnt. Trotzdem, kompletten Schutz gab es nicht. Und der Wächter konnte sich ebenso gut jemanden anderen aussuchen. Oder einen anderen Ort, der
sich auf das Regierungspräsidium bezog. Das hatte er beim Schluchseewerk ja
auch getan.
Iris bemerkte nicht, dass Franz Örtler ihr nachschaute. Sein Blick
war klar.
4
Max Trautmann war müde von der Suche nach dem alten
Örtler. Er hatte all die Stellen abgeklappert, die Tanja Gerber ihm genannt
hatte. Nichts. Er klappte den Aktenordner auf. Hier sortierte er alles ein, was
unter Umweltgesichtspunkten relevant sein könnte. Umwelt war das Thema der
Zeit. Doch er musste sich beschränken. Es war einfach nicht möglich, alles
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