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Hotzenwaldblues

Hotzenwaldblues

Titel: Hotzenwaldblues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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sich und wankte leicht. Iris stützte
ihn instinktiv. Das brachte sie in die unmittelbare Wirklichkeit zurück, in der
sie bei einer Demonstration mit dem Motto »Menschenstrom gegen Atom« nach einem
potenziellen Attentäter Ausschau halten und ihn daran hindern sollte, Menschen
umzubringen. Sie dachte an den Sprengsatz an der Unterführung. Das Gefühl der
Dringlichkeit kehrte zurück und bildete einen Klumpen in ihrem Magen. Die
Gewissheit, dass sie bezüglich der Person des Wächters und seiner möglichen Opfer nur im Nebel stocherte, dass sie eigentlich nichts
wusste, was ihr helfen konnte, ihre Aufgabe zu erfüllen, wirkte dabei wie das
Lab in frisch gemolkener Milch.
    Sie warf einen bedauernden letzten Blick nach draußen, stellte die
Tasse ins Spülbecken und nickte Forstweiler zu. »Sie haben wirklich Glück, dass
Sie mich noch erwischt haben«, behauptete sie. »Ich hole sicherheitshalber noch
meine Regenjacke, dann können wir. Mein Auto hab ich im Parkhaus Brunnenmatt,
also nicht weit von hier. Was halten Sie nachher von einem kleinen Spaziergang?
Ich kenne in der Nähe von Döttingen einen guten Parkplatz, etwas versteckt beim
Klingnauer Stausee. Von da aus ist es etwa eine halbe Stunde zu Fuß bis aufs
Demogelände.«
    »Tipptopp. Un’ s’git kchain Räge«, erklärte er im Brustton der
Überzeugung.
    »Ich nehme trotzdem lieber eine Jacke mit. Sie wissen ja, wie das
ist. Wenn man keinen Schirm dabei hat, regnet es bestimmt. Ich vermute, das
gilt auch für Jacken.« Sie lächelte ihm zu.
    Forstweiler sollte recht behalten. Als sie wie Sonntagsausflügler am
Klingnauer Stausee entlangschlenderten, wieder schweigend, jeder in die eigenen
Gedanken vertieft, kam Wind auf und vertrieb die Blumenkohlansammlung am
Himmel. Iris fröstelte sogar etwas. Doch sie genoss den Spaziergang über den
schön ausgebauten Uferweg, vorbei an Wasserlachen und sumpfigen, mit Schilf
bewachsenen Stellen, aus denen vielstimmiges Quaken ertönte, vorbei an den
Nestern von brütenden Wasservögeln und Weidenbäumen, die ihre Äste zum Wasser
hin streckten und unter denen es sich an heißen Tagen in aller Ruhe verweilen
ließ. Zumindest dann, wenn nicht gerade ein Inlineskater heranbrauste.
    Am gegenüberliegenden Ufer des Stausees erhob sich das Städtchen
Klingnau. Es war alt, gegründet schon vor Jahrhunderten, lange bevor sie die
Aare an dieser Stelle gestaut und das Wasserkraftwerk gebaut hatten. Iris
erinnerte sich an das, was sie auf der BUND -Homepage
zur Demonstration gelesen hatte: »Die Route liegt in der
Hochrisikoregion beim AKW Beznau, dem ältesten Druckwasserreaktor der Welt, beim
Zwischenlager und Verbrennungsofen für radioaktiven Abfall ( ZWILAG ) und bei der Atomfabrik des
Paul-Scherrer-Forschungsinstituts ( PSI ) im Herzen des Atomaargaus.«
    »Warum wollten Sie eigentlich unbedingt mit?«, fragte sie Forstweiler
irgendwann.
    Die Erwiderung kam prompt. »Die müen abschalte. Un mir müen Druck
mache. Alli Generatione.«
    »Sie klingen ja wie ein Revoluzzer.«
    Er gab keine Antwort.
    Am Bahnhof Kleindöttingen trennten sich ihre Wege. Johannes
Forstweiler nutzte dankbar das Angebot einer Fahrradrikschafahrt zum Gelände
der Abschlusskundgebung, das etwa drei Kilometer entfernt in einem
Industriegebiet lag, wo die Protestierer niemanden störten. Iris blieb am
Bahnhof und hörte den beiden Frauen am Lautsprecherwagen zu, die erklärten, man
wolle noch etwas warten. Auf den nächsten Zug, auf weitere Protestierer. Und
die die Anwesenden immer wieder ermahnten, ihre Abneigung gegen Atomkraftwerke
doch bitte friedlich kundzutun. Die eine mit schriller Stimme auf
Schwyzerdütsch, die andere auf Französisch, in einer etwas dunkleren Tonlage.
Sie zählten wie ein Mantra ein ums andere Mal die Punkte auf, die quasi als
Oberzeilen über dem heutigen Tag schwebten: Es sei angesagt, jedem offen und
freundlich zu begegnen, Aggression oder Sachbeschädigungen seien unerwünscht,
sich zu maskieren nicht erlaubt. Auch nicht, die überall erhältlichen
Luftballons steigen zu lassen, da dies zu Gefährdungen des Flugverkehrs führen
könne. Und man möge bitte Verständnis für die Anwohner haben, die durch die
Großdemonstration in ihrer Sonntagsruhe doch sehr beeinträchtigt würden. Falls
es wider Erwarten Probleme gäbe – den Damen war anzuhören, dass sie schon
allein den Gedanken für geradezu unschicklich hielten – sollten sich die
Versammelten doch bitte an einen der Peacekeeper wenden, erkennbar

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