Hotzenwaldblues
Gerber und ihre Kinder waren dabei. Auch der
Vorsitzende der Laufenburger Grünen und die Fotografin aus der Altstadt.
Iris spähte über den Platz. Direkt neben dem Eingang hatten die
Organisatoren ein offenes Zeltdach aufgebaut, unter dem ein
Beschäftigungsprogramm für Kinder lief. In Richtung Bühne zogen sich weitere
Planen und Zeltdächer. Da standen auch Brauereitische samt den dazugehörigen
Bänken. Einige Plätze waren noch frei, wenn auch recht weit von der Bühne
entfernt. Sie bezweifelte, dass sie von dort aus die angekündigten Reden
verstehen würde. Schade, denn der berühmte Schweizer Schriftsteller Franz
Hohler wollte sprechen. Und Ärndsch Born sollte auftreten, der Sänger der
ersten Stunde, der über viele Jahre der eher spärlichen Schweizer
Antiatomkraftbewegung die Lieder vorgegeben hatte und um den es in den letzten
Jahren recht still geworden war. Inzwischen betrieb er den Basler
Kulturpavillon.
Iris entschied sich dennoch dafür, sich schnellstens einen der freien
Sitzplätze zu sichern. Sie hatte nicht die mindeste Lust, stundenlang zu
stehen. Die Bühne würde sowieso bewacht sein, da musste sie also nicht hin.
Dort würde sich der Wächter deshalb
vermutlich auch nicht aufhalten. Einer wie er war bestimmt darauf bedacht, sich
möglichst weit von irgendwelchen Sicherheitsleuten entfernt zu halten, es sei
denn, er war absolut cool. Aber danach hatte sein Drohbrief nun wirklich nicht
geklungen. Eher nach einem Fanatiker. Falls er denn überhaupt hier war. Iris’
Bauch behauptete jedenfalls, dass er hier irgendwo steckte, ein Gesicht unter
Tausenden. Noch einmal ließ sie ihren Blick forschend über die Menge gleiten.
Dann musste sie schmunzeln. Es war wohl wirklich zu viel verlangt, dass da
einer saß, der ein Schild mit der Aufschrift »Wächter« auf die Stirn geklebt trug.
Es war ohnehin besser, sie rollte die Angelegenheit von hinten auf.
Sie würde sich zu dem mittelalterlichen Ehepaar auf die Bank setzen und ganz
unverbindlich mit ihnen plaudern. Zum Beispiel über das Who’s who der
Anti-Atomkraft-Szene. Die beiden wirkten jedenfalls demoerfahren. Sie hatten
Bio-Sonnenmilch dabei sowie einen Picknickkorb, aus dem laut dem gut sichtbaren
Picker ein Biobrot herausragte, und trugen bequeme Latschen an den Füßen.
Später würde sie dann nach den Laufenburgern suchen, die an ihr vorbeigeradelt
waren. Vielleicht hatten die auch Hinweise, die sie weiterbrachten. Auf
besonders dogmatische Mitstreiter zum Beispiel.
Der Platz auf der Bank bot noch einen weiteren Vorteil. So musste
sie nicht auf dem Boden sitzen. Das bewahrte sie vielleicht davor, völlig
zerstochen heimzukommen. Denn eines war gewiss: Jede Stechmücke, jede Ameise im
Umkreis von mindestens zehn Kilometern würde sie finden. Das war immer so. Iris
stellte sich vor, wie schon jetzt eine Ameise piepste oder was Ameisen sonst
taten, um zu kommunizieren: »Seht, da kommt sie, auf sie mit Biss!« Sie tastete
in ihrer Umhängetasche herum und atmete erleichtert aus. Sie hatte das
Anti-Ungezieferzeug eingesteckt. Sie mochte es nur nicht, weil es stank.
Die Sonne blendete. Iris blinzelte und schützte die Augen mit der
Hand. Nein, sie konnte den alten Forstweiler nicht entdecken. Er schien wie vom
Erdboden verschluckt zu sein. Aber er war erwachsen. Und sie hatten ja
verabredet, sich in drei Stunden, nach den Reden, an den Klohäuschen zu
treffen.
Ah, dahinten boten sie Kaffee an. Aus der Maschine, tassenweise. Eine Maschine für Tausende von Leuten? Sie
hatten auch Kuchen. Gut. Wundersamerweise hatte sich noch keine Schlange
gebildet. Am besten, sie besorgte sich schnell ihr Frühstück, ehe der Andrang
begann. Als sie hatte, was sie brauchte, steuerte sie auf die Bank mit dem
Ehepaar zu. »Ist hier noch frei?« Sie erntete ein Nicken des männlichen Parts
und ein Lächeln seiner Begleiterin, die eine Tüte mit Studentenfutter aus dem
Korb zog. »Wön Sie au öbbis?«
»Nein, danke, das ist nett, aber ich hab mir gerade etwas gekauft.«
Die Frau nickte und hielt ihrem Mann die Tüte hin.
Iris war zufrieden. Den ersten Kontakt hatte sie geknüpft. Nun aber
nur nicht mit der Tür ins Haus fallen. Dem Dialekt nach schienen die beiden aus
der Gegend um Basel zu stammen. Die Leute aus dem Baselbiet hatten so etwas
nicht so gern, schon gar nicht von einer Deutschen. Es herrschten – ja,
wie sollte man das bezeichnen? – meist nur unterschwellig spürbar
gegenseitige Vorbehalte unter den Alemannen dies- und jenseits des
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