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Hotzenwaldblues

Hotzenwaldblues

Titel: Hotzenwaldblues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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Wolken verzogen, und es wurde brütend
heiß auf dem Kleindöttinger Bahnhofsvorplatz. In Iris machten sich
Beklemmungsgefühle breit, denn sie hatte nicht mit einem so großen Andrang
gerechnet. Die Demonstranten strömten jetzt in Pulks herbei. Der Platz war bis
zu den Gleisen voller Menschen, jeder Zentimeter Rasen, jeder Millimeter Schatten
besetzt, und der angekündigte Zug war noch nicht einmal eingefahren. Sie
beobachtete eine Familie mit drei kleinen Kindern, die mit einem Leiterwagen,
der zum Kinderbett umfunktioniert worden war, diversen Rucksäcken, einem Hund
und einem gelben Fass mit dem Atomsymbol einen halbwegs schattigen Platz unter
einem jungen Baum ergattert hatte. Die junge Mutter zog eine Hundeschüssel aus
dem Rucksack. Ihr Mann holte eine Flasche hervor und schüttete Wasser hinein.
Der Retriever wedelte glücklich mit dem Schwanz und begann zu schlabbern. Das
waren geübte Protestierer, sie hatten alles dabei, was Mensch und Tier an solch
einem Nachmittag benötigten. Der Hund trug eine Art Geschirr. Wahrscheinlich
war es seine Aufgabe, den Leiterwagen zu ziehen.
    Iris schlängelte sich durch die Wartenden hindurch und ging über die
Straße zu einer Verkehrsinsel mit Kreisverkehr mit einem kleinen Hügel, auf dem
die Kleindöttinger zwischen Pflastersteinen in jeder Himmelsrichtung eine
Weinrebe gepflanzt hatten. Auf der Kuppe zwischen den Reben wartete eine Dame
mit einem Pappschild mit der Aufschrift »Presse« auf die Vertreter der schreibenden,
fotografierenden, filmenden oder O-Töne sammelnden Zunft. Sie gesellte sich zu
ihr und schaute hinüber zu den Menschen, die zwischen den Ständen der
Umweltorganisationen herumwuselten, ihren Hunden »Sitz!« befahlen und
versuchten, ihren Nachwuchs nicht aus den Augen zu verlieren, oder einfach ausharrten,
bis endlich jemand den Startschuss zum Aufbruch gab. Wenn sie sich umwandte,
sah sie die Straße, die zur Brücke über die Aare führte und weiter zum
Versammlungsgelände.
    Sie blickte wieder hinüber zu den Wartenden. Kleindöttingen war noch
im glücklichen Besitz eines dieser romantischen alten Bahnhöfe, die in
Deutschland längst dem Verfall preisgegeben worden waren. Das Gebäude wirkte
gepflegt. Der Schweizer SBB sind offenbar auch
kleine Orte und dörfliches Idyll noch etwas wert, dachte Iris. Das Summen der
Stimmen erinnerte sie an einen Bienenkorb. Sie sah Transparente, Spruchbänder
und darüber schwebende Luftballons. Ihr Blick fiel auf ein gelbes Transparent,
das an einem Zaun vor dem Bahnhof hing. Links wurde auf eine Vorstellung des
Zirkus Knie hingewiesen, rechts stand in roter Schrift »Kleintierausstellung«.
Iris musste schmunzeln.
    Ihre Miene wurde schnell wieder ernst, und ihr Blick wanderte ein
ums andere Mal prüfend über die Menschen. Jeder von ihnen, bis auf die Kinder
oder die ganz Alten, konnte der Wächter sein. Oder
ihn kennen. Doch sie bemerkte nichts Ungewöhnliches.
    Es war zum Verzweifeln.
    Iris beschloss, sich schon einmal auf den Weg zum
Versammlungsgelände zu machen.
    Als sie nach etwa zwei Kilometern Fußmarsch nach rechts ins
Industriegebiet abbog, entdeckte sie überall auf den Flachdächern der
Fabrikgebäude blau gekleidete Gestalten in schusssicheren Westen und
Walkie-Talkies an Mund oder Ohr. Oder Headsets. Oder Funkgeräten. Oder was auch
immer. Alle trugen gut sichtbar Waffen.
    Iris wunderte sich ein weiteres Mal über die Schweizer. Die Demonstranten
nahmen es wie selbstverständlich hin, dass sie zwecks besserer Kontrolle an den
Rand des bewohnten Döttingen verbannt wurden, dahin, wo an einem Sonntag kaum
jemand hinging, nämlich in ein Industriegebiet. Es schien sich auch niemand
über dieses martialisch wirkende Aufgebot an Sicherheitskräften zu wundern.
Entweder hatten die Eidgenossen eine andere Demonstrationskultur als ihre
deutschen Nachbarn, oder es war Gefahr im Verzug. Andererseits: Die Demo war
von langer Hand geplant und angemeldet worden, schon Wochen vor den Drohungen
des Wächters . Wenn sie seinetwegen nach außerhalb
gelegt worden war, hätte es Hinweise gegeben, Durchsagen oder Schilder, dass die
Kundgebung an einem anderen Ort als dem geplanten stattfand. Also war der
Aufmarsch hier dem Kontrollbedürfnis der Schweizer Behörden zuzuschreiben, das
offenbar noch größer war als das der deutschen.
    Am Rand des riesigen Versammlungsplatzes, einer gemähten Wiese, da,
wo die Dixi-Toilettenhäuschen standen, wurde sie von einem Häuflein Radfahrer
überholt. Na so was! Tanja

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